Widerstrebende Gegenstände.
Widerstrebend und unstatthaft für die bildende
Kunst sind alle diejenigen Gegenstände, welche
nicht sich selbst aussprechen, nicht im ganzen Umfange,
nicht in völliger Bedeutung, vor den Sinn des Auges
gebracht werden können. In einem Kunstwerke, welches
an die wissenschaftlichen Kenntnisse des Beschauers
appelliren muß, ist eigentlich nur die geringere
Hälfte in dem Bilde selbst enthalten, dasselbe
liefert uns nur eine gewisse äußere Gestalt
der Dinge, welche der Künstler eigentlich hat darstellen
wollen; den bessern Theil, die Bedeutung aber muß
der Beschauer selbst dazu beytragen, und gewissermaßen
das Werk vollenden. [...]
Man wende nur nicht ein, daß gangbare, allgemeine
bekannte Sagen und Lehren hievon auszunehmen seyen,
und einen Gegenstand für die Darstellung geschickt
machen könnten, wenn er es ohne dieses nicht ware.
Ein Bild rührt uns, als Kunstwerk betrachtet, nur
durch das, was wirklich dargestellt ist. Was wir uns
dabey denken, gehört nicht ihm, sondern gehört
uns an. [...]
[...]
Setze man z. B. die Kunst habe in einem Cruzifix ihr
möglichstes geleistet, so werden wir schöne
Formen der Glieder, edle, ja wir wollen zugeben, göttliche
Züge und übermenschlichen Character, nebst
einem leidenden, schmerzhaften Ausdruck sehen. Die Kunst
kann Mitleiden erwecken, uns Theil zu nehmen nöthigen,
sie kann uns überreden, daß der Edle unschuldig
leidet; daß er aber freywillig zum Heil und Erlösung
der Welt leide und sterbe, kann sie unmöglich darstellen;
der göttliche Charakter wird, oder würde vielmehr
(denn die neuern Künstler haben es nie so weit
gebracht) zu einer anschaulichen Ungereimtheit. Wie
kann die göttliche Natur unterliegen, bezwungen
werden, leiden? [...]
Die Kunst hätte also, wenn sie sich auch wieder
bis zur Vollkommenheit der Alten erheben könnte,
dennoch immer die Unbequemlichkeit daß sie der
Figur Christi zweyerley Charactere beylegen müßte.
Im leidenden Zustand, wo er gefangen, gegeiselt, verspottet,
ausgeführt, gekreutzigt wird, müßte
er menschlich, edel, gütig und duldend; hingegen
groß, göttlich, mächtig dargestellt
werden, wo Wunder geschehen, wo er auf dem Meere wandelt,
aufersteht, verklärt, und in den Himmel aufgenommen
wird.
[...]
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