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3: Friedrich Schlegel: Dritter Nachtrag alter
Gemählde
Friedrich Schlegel: Dritter Nachtrag
alter Gemählde, in: Europa. Eine Zeitschrift, Bd.
2, Stück 2 (1805), S. 109-145. Einschübe aus
der Ausgabe sämtlicher Werke (Wien 1822-1825) sind
in <spitzen Klammern> eingefügt.
[...]
[...] Wenn es daselbst [in München] noch mehrere
Bilder von diesem hohen Werthe giebt [wie die Alexanderschlacht
von Albrecht Altdorfer, 1529], so sollten deutsche Mahler
dahin wallfarthen, wie nach Rom oder Paris. Man darf,
- bei dieser Gelegenheit sey es gesagt, - überhaupt
wohl nicht eher neue Hoffnungen für die Kunst in
Deutschland hegen, als bis ein kunstliebender und deutsch
gesinnter Fürst alle noch vorhandnen, zum Theil
aber schon sehr zerstreuten Denkmahle des deutschen
Kunstgeistes so viel als möglich in eine Sammlung
altdeutscher Gemählde zu vereinigen suchen wird,
wo denn die Wirkung der in einen Brennpunkt wieder vereinigten
Strahlen des bis jetzt auch hierin zerstreuten deutschen
Wirkens, unermeßlich verstärkt und verdoppelt,
und gewiß eben so erstaunungswürdig und fruchtbar
seyn würde, als nur immer die Anschauung der vereinigten
italiänischen oder griechischen Kunstschätze
seyn mag. Denn gewiß, und wir werden noch manchen
Beweis davon anzuführen haben, die alten Deutschen
waren nicht minder groß und erfinderisch in der
Mahlerkunst; nur daß die Unwissenheit nicht davon
unterrichtet ist, und seichte Nachahmungssucht es nicht
erkennen will, in der eignen Geringschätzung auf
eine sonderbare Weise ihren Dünkel suchend. Was
hat diese Nachahmerei aber in allen Künsten irgend
Gutes und Löbliches hervorgebracht? Nichts und
durchaus gar Nichts, als ganz verkehrte oder ganz seichte
nichtsnütze Dinge. Der Poesie kann man noch eher
vergönnen ihre Phantasie in entfernte Regionen
schwärmen zu lassen; doch muß sie jederzeit
mit den fremden Schätzen bereichert wie zur Heimath
zurückkehren zu dem, was für ihre Zeit, für
ihre Nation einmal der höchste Brennpunkt des Gefühls
und der Dichtung ist, sonst muß sie unvermeidlich
kalt und kraftlos werden. Der Sinn aber vollends und
sinnliche Kunst wird durch diese scheinbare Ausbildung
ins Vielseitige, eigentlich aber ins Weite und Breite
unvermeidlich ganz abgestumpft und verschwemmt. Der
Sinn, und was er wirken soll, kann nur in bestimmter
Beschränkung kräftig und eigen gedeihen und
sich gestalten. Die Wahrheiten des Verstandes sind allgemein;
die Einbildungskraft sucht in das unbestimmte Ferne
zu schweben, der Sinn aber geht vielmehr darauf aus,
das Einzelne und Nächste bis in seine letzte Tiefe
und eigentliche Wurzel zu durchdringen und es dann im
Bilde von neuem zu gebähren, so daß aus dem
nun wiedergebohrnen und verklärten Abbilde des
unerforschlichen Naturwesens zugleich das Räthsel
unsers eignen Gefühls uns überraschend entgegen
scheint
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