Quelle 2: Heinrich von Kleist: Empfindungen vor
Caspar David Friedrichs Seelandschaft
Berliner Abendblätter,
12. Blatt (13. Okt. 1810), S. 47f.
Herrlich ist es, in einer unendlichen Einsamkeit am
Meeresufer, unter trübem Himmel, auf eine unbegränzte
Wasserwüste, hinauszuschauen. Dazu gehört
gleichwohl, daß man dahin gegangen sei, daß
man zurück muß, daß man hinüber
mögte, daß man es nicht kann, daß man
Alles zum Leben vermißt, und die Stimme des Lebens
dennoch im Rauschen der Fluth, im Wehen der Luft, im
Ziehen der Wolken, dem einsamen Geschrei der Vögel,
vernimmt. Dazu gehört ein Anspruch, den das Herz
macht, und ein Abbruch, um mich so auszudrücken,
den Einem die Natur thut. Dies aber ist vor dem Bilde
unmöglich, und das, was ich in dem Bilde selbst
finden sollte, fand ich erst zwischen mir und dem Bilde,
nehmlich einen Anspruch, den mein Herz an das Bild machte,
und einen Abbruch, den mir das Bild that; und so ward
ich selbst der Kapuziner, das Bild ward die Düne,
das aber, wo hinaus ich mit Sehnsucht blicken sollte,
die See, fehlte ganz. Nichts kann trauriger und unbehaglicher
sein, als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke
im weiten Reiche des Todes, der einsame Mittelpunct
im einsamen Kreis. Das Bild liegt, mit seinen zwei oder
drei geheimnißvollen Gegenständen, wie die
Apokalypse da, als ob es Joungs Nachtgedanken hätte,
und da es, in seiner Einförmigkeit und Uferlosigkeit,
nichts, als den Rahm, zum Vordergrund hat, so ist es,
wenn man es betrachtet, als ob Einem die Augenlieder
weggeschnitten wären. Gleich wohl hat der Mahler
Zweifels ohne eine ganz neue Bahn im Felde seiner Kunst
gebrochen; und ich bin überzeugt, daß sich,
mit seinem Geiste, eine Quadratmeile märkischen
Sandes darstellen ließe, mit einem Berberitzenstrauch,
worauf sich eine Krähe einsam luftert, und daß
dies Bild eine wahrhaft Ossiansche oder Kosegartensche
Wirkung thun müßte. Ja, wenn man diese Landschaft
mit ihrer eignen Kreide und mit ihrem eigenen Wasser
mahlte; so, glaube ich, man könnte die Füchse
und Wölfe damit zum Heulen bringen: das Stärkste,
was man, ohne allen Zweifel, zum Lobe für diese
Art von Landschaftsmahlerei beibringen kann. - Doch
meine eigenen Empfindungen, über dies wunderbare
Gemählde, sind zu verworren; daher habe ich mir,
ehe ich sie ganz auszusprechen wage, vorgenommen, mich
durch die Aeußerungen derer, die paarweise, von
Morgen bis Abend, daran vorübergehen, zu belehren.
ch.
|