HOME

    
    
        
 
   
   
     
     
     
        
    
    
    
    
    
    

 

Quelle 2: Goethe und Meyer: Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst, 1798

Goethe und Meyer: Ueber die Gegenstände der bildenden Kunst, in: Propyläen. Eine periodische Schrifft herausgegeben von Goethe, 1. Bd. (1798), 1. Stück, S. 20-54 und 2. Stück, S. 45-81.

Indem der bildende Künstler ein Werk hervorzubringen gedenkt, hat er bey der Wahl des Gegenstandes besonders vorsichtig zu seyn, indem sowohl der Fortgang seiner Arbeit als das Glük seines vollendeten Werks von derselben abhängt. Ein guter und vortheilhafter Gegenstand hebt und trägt den Genius, befördert, giebt Muth und Kräfte das Angefangne mit Lust zu vollenden, hingegen legt der schlechte oder widerstrebende Gegenstand immerfort neue Hindernisse in den Weg, ermüdet und schlägt nieder; es wird weder der Künstler seines Werkes froh, noch der Beschauer desselben vollkommen befriedigt werden können.
[...]
Man fordert von einem jeden Kunstwerke, daß es ein Ganzes für sich ausmache, und von einem Werke der bildenden Kunst besonders, daß es sich selbst ganz ausspreche. Es muß unabhängig seyn, die vorgestellte Handlung, der Gegenstand muß, im Wesentlichen, ohne äussere Beyhülfe, ohne Nebenerklärung, die man aus einem Dichter oder Geschichtschreiber schöpfen müßte, gefaßt und verstanden werden. [...]

Von den Gegenständen überhaupt.
Sondern wir von Werken der bildenden Kunst aller Art dasjenige ab, was ihnen durch Form und Farben, durch geistige und mechanische Behandlung geliehen wird, so bleiben nur noch die Stoffe, die Gegenstände, zur Betrachtung übrig; wir unterscheiden dreyerley Arten:
Die ersten sind die vortheilhaften, der Kunst angemessen und bequem. Das Werk liegt gleichsam schon im Keime darinn, und wächst unter der pflegenden Hand des Künstlers schnell hervor.
Die andern, welche man gleichgültige oder unthätige Gegenstände nennen möchte, hängen ganz von der Behandlung ab, sie sind unbedeutend, wenn nicht das Genie des Künstlers Gehalt hineinlegt.
Die dritte Art sind die widerstrebenden, welche, den ersten Forderungen zuwider, sich nicht selbst aussprechen. An ihnen ist alle Mühe verlohren, weil sie dem Beschauenden nicht deutlich werden können. Geschmack und Kunst erschöpfen ihre Kräfte umsonst daran, und werden zwar endlich ein angenehmes, wohl in die Augen fallendes Bild zuwege bringen, aber bedeutend, allgemein wirkend kann es nicht werden.

<< Seite 3/10 Word-Text zum Download >>