Quelle 2: Friedrich Schiller: Über Matthissons
Gedichte, 1794
Friedrich Schiller: Über Matthissons
Gedichte, in: Allgemeine Literaturzeitung, Nr. 298/99
vom 11./12. Sept. 1794. Zitiert nach: Gerhard Fricke/Herbert
G. Göpfert (Hrsg.): Friedrich Schiller. Sämtliche
Werke, Bd. 5 (Erzählungen/Theoretische Schriften),
München 31962, S. 992-1011.
Zürich, b. Orell u. Comp.: Gedichte
von Friedrich Matthisson. Dritte vermehrte Auflage
1794. Mit einem Titelkupfer, von Lips gezeichnet und
von Guttenberg gestochen, 166 S. 8°
[...]
[...] Steht man also an, Gemälde oder Dichtungen,
welche bloß unbeseelte Naturmassen zu ihrem Gegenstand
haben, für echte Werke der schönen Kunst (derjenigen
nämlich, in welcher ein Ideal möglich ist)
zu erkennen; so zweifelt man an der Möglichkeit,
diese Gegenstände so zu behandeln, wie es der Charakter
der schönen Kunst erheischt. Was ist dies nun für
ein Charakter, mit dem sich bloß die landschaftliche
Natur nicht ganz soll vertragen können? Es muß
derselbe sein, der die schöne Kunst von der bloß
angenehmen unterscheidet. Nun teilen aber beide den
Charakter der Freiheit; folglich muß das angenehme
Kunstwerk, wenn es zugleich ein schönes sein soll,
den Charakter der Notwendigkeit an sich tragen.
[...] Er [der Dichter] muß fürs erste unsre
Einbildungskraft frei spielen und selbst handeln
lassen, und zweitens muß er nichtsdestoweniger
seiner Wirkung gewiß sein und eine bestimmte
Empfindung erzeugen. Diese Foderungen scheinen einander
anfänglich ganz widersprechend zu sein, denn nach
der ersten müßte unsre Einbildungskraft herrschen
und keinem ändern als ihrem eigenen Gesetz gehorchen;
nach der ändern müßte sie dienen und
dem Gesetz des Dichters gehorchen. Wie hebt der Dichter
nun diesen Widerspruch? Dadurch, daß er unserer
Einbildungskraft keinen ändern Gang vorschreibt,
als den sie in ihrer vollen Freiheit und nach ihren
eigenen Gesetzen nehmen müßte, daß
er seinen Zweck durch Natur erreicht und die äußere
Notwendigkeit in eine innere verwandelt. Es findet sich
alsdann, daß beide Foderungen einander nicht nur
nicht aufheben, sondern vielmehr in sich enthalten,
und daß die höchste Freiheit gerade nur durch
die höchste Bestimmtheit möglich ist.
[...]
[...] Unsre Vorstellungen stehen aber nur insofern in
einem notwendigen Zusammenhang, als sie sich auf eine
objektive Verknüpfung in den Erscheinungen, nicht
bloß auf ein subjektives und willkürliches
Gedankenspiel gründen. An diese objektive Verknüpfung
in den Erscheinungen hält sich also der Dichter,
und nur wenn er von seinem Stoffe alles sorgfältig
abgesondert hat, was bloß aus subjektiven und
zufälligen Quellen hinzugekommen
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