Die einfache Nachahmung arbeitet also gleichsam im
Vorhofe des Stils. Je treuer, sorgfältiger, reiner
sie zu Werke gehet, je ruhiger sie das, was sie erblickt,
empfindet, je gelassener sie es nachahmt, je mehr sie
sich dabei zu denken gewöhnt, das heißt,
je mehr sie das Ähnliche zu vergleichen, das Unähnliche
voneinander abzusondern und einzelne Gegenstände
unter allgemeine Begriffe zu ordnen lernet, desto würdiger
wird sie sich machen, die Schwelle des Heiligtums selbst
zu betreten.
Wenn wir nun ferner die Manier betrachten, so sehen
wir, daß sie im höchsten Sinne und in der
reinsten Bedeutung des Worts ein Mittel zwischen der
einfachen Nachahmung und dem Stil sein könne. Je
mehr sie bei ihrer leichteren Methode sich der treuen
Nachahmung nähert, je eifriger sie von der andern
Seite das Charakteristische der Gegenstände zu
ergreifen und faßlich auszudrücken sucht,
je mehr sie beides durch eine reine, lebhafte, tätige
Individualität verbindet, desto höher, größer
und respektabler wird sie werden. Unterläßt
ein solcher Künstler, sich an die Natur zu halten
und an die Natur zu denken, so wird er sich immer mehr
von der Grundfeste der Kunst entfernen, seine Manier
wird immer leerer und unbedeutender werden, je weiter
sie sich von der einfachen Nachahmung und von dem Stil
entfernt.
Wir brauchen hier nicht zu wiederholen, daß wir
das Wort Manier in einem hohen und respektablen Sinne
nehmen, daß also die Künstler, deren Arbeiten
nach unsrer Meinung in den Kreis der Manier fallen,
sich über uns nicht zu beschweren haben. Es ist
uns bloß angelegen, das Wort Stil in den höchsten
Ehren zu halten, damit uns ein Ausdruck übrig bleibe,
um den höchsten Grad zu bezeichnen, welchen die
Kunst je erreicht hat und je erreichen kann. Diesen
Grad auch nur erkennen ist schon eine große Glückseligkeit
und davon sich mit Verständigen unterhalten ein
edles Vergnügen, das wir uns in der Folge zu verschaffen
manche Gelegenheit finden werden.
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