Manier
Allein gewöhnlich wird dem Menschen eine solche
Art zu verfahren zu ängstlich oder nicht hinreichend.
Er sieht eine Übereinstimmung vieler Gegenstände,
die er nur in ein Bild bringen kann, indem er das Einzelne
aufopfert; es verdrießt ihn, der Natur ihre Buchstaben
im Zeichnen nur gleichsam nachzubuchstabieren; er erfindet
sich selbst eine Weise, macht sich selbst eine Sprache,
um das, was er mit der Seele ergriffen, wieder nach
seiner Art auszudrücken, einem Gegenstande, den
er öfters wiederholt hat, eine eigne bezeichnende
Form zu geben, ohne, wenn er ihn wiederholt, die Natur
selbst vor sich zu haben, noch auch sich geradezu ihrer
ganz lebhaft zu erinnern.
Nun wird es eine Sprache, in welcher sich der Geist
des Sprechenden unmittelbar ausdrückt und bezeichnet.
Und wie die Meinungen über sittliche Gegenstände
sich in der Seele eines jeden, der selbst denkt, anders
reihen und gestalten, so wird auch jeder Künstler
dieser Art die Welt anders sehen, ergreifen und nachbilden,
er wird ihre Erscheinungen bedächtiger oder leichter
fassen, er wird sie gesetzter oder flüchtiger wieder
hervorbringen.
Wir sehen, daß diese Art der Nachahmung am geschicktesten
bei Gegenständen angewendet wird, welche in einem
großen Ganzen viele kleine subordinierte Gegenstände
enthalten. Diese letztere müssen aufgeopfert werden,
wenn der allgemeine Ausdruck des großen Gegenstandes
erreicht werden soll, wie zum Exempel bei Landschaften
der Fall ist, wo man ganz die Absicht verfehlen würde,
wenn man sich ängstlich beim Einzelnen aufhalten
und den Begriff des Ganzen nicht vielmehr festhalten
wollte.
Stil
Gelangt die Kunst durch Nachahmung der Natur, durch
Bemühung, sich eine allgemeine Sprache zu machen,
durch genaues und tiefes Studium der Gegenstände
selbst endlich dahin, daß sie die Eigenschaften
der Dinge und die Art, wie sie bestehen, genau und immer
genauer kennerlernt, daß sie die Reihe der Gestalten
übersieht und die verschiedenen charakteristischen
Formen nebeneinander zu stellen und nachzuahmen weiß:
dann wird der Stil der höchste Grad, wohin sie
gelangen kann, der Grad, wo sie sich den höchsten
menschlichen Bemühungen gleichstellen darf. Wie
die einfache Nachahmung auf dem ruhigen Dasein und einer
liebevollen Gegenwart beruht, die Manier eine Erscheinung
mit einem leichten fähigen Gemüt ergreift,
so ruht der Stil auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis,
auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es
in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen.
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