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er stellte sich sofort auf einen unmittelbaren Naturboden und gewann damit den reinen Ausgangspunkt, (S. 258:) von dem aus er dem Reiche der Sichtbarkeit beikommen konnte, ohne den Umweg über die Darstellung aller der Verkleidungen zu nehmen, unter denen das Leben die ursprüngliche Gestalt der Dinge zu verbergen pflegt. Dies bildete den Mittelpunkt seines Schaffens; dahin kehrte er wie zu seiner Hauptaufgabe immer zurück; darin fand er die Sprache, in der er unmittelbar seine reichen Naturerlebnisse zum Ausdruck bringen konnte. [...]
Wer seine Tätigkeit nur einigermaßen zu verfolgen Gelegenheit hatte, der mußte erstaunen, ein wie reiches Phantasieleben sich in der Verwertung so einfacher Elemente betätigte; und wer in der Lage war, einen Vergleich zu ziehen, zwischen den Versuchen, die ihn in jenen ersten italienischen Jahren beschäftigt hatten, und den Formen, in denen dieselbe unablässig verfolgte Aufgabe in seinen letzten Jahren auftrat, der mußte begreifen, daß hier eine Lebensaufgabe vorlag. Es handelte sich hier, wie schon gesagt, nicht um ein willkürliches Spiel der Einbildungskraft. Marées zeichnete sich durch einen sehr positiven Sinn für die Tatsächlichkeit der Erscheinungswelt aus. Das Wesen der Dinge offenbarte sich ihm in ihrer Sichtbarkeit; mehr als anderen war ihm das sichtbare Vorhandensein wichtig und bedeutend; eine sinnliche Beziehung verband ihn nahe mit der Außenwelt; er ordnete sich der Natur unter und gab sich ihr hin mit einer weichen Empfänglichkeit, die ihn jede Feinheit wahrnehmen, jeden Reiz empfinden ließ. Aber er verfiel nicht in Schwärmerei. Die männliche Kraft seines Wesens zeigte sich darin, daß er dieses reiche Naturleben, das ihn umgab und erfüllte, nun (S. 259:) seinerseits zu immer klarerem und erschöpfenderem Ausdruck zu entwickeln bemüht war.
Dieses Ringen, im Kunstwerk den höchsten Ausdruck für die lebendige Wahrheit der Natur zu finden, mußte sich in einer doppelten Entwickelung der bildnerischen Tätigkeit darstellen. Einmal nach seite dessen, was man im eigentlichen Sinne Komposition nennen mag. In der nie ruhenden Umbildung der den Künstler beschäftigenden Vorstellungselemente, in ihrer immer neu gesuchten Zusammenordnung zum Bilde war ein beständiger Fortschritt bemerkbar. Die Verarbeitung der Natureindrücke zu einer in sich geschlossenen Gesichtsvorstellung trat mit jedem neuen Versuche bewußter und planvoller zu Tage. Und damit in engem Zusammenhange stand eine andere Entwickelung, die bei Marées eine hervorragende, zugleich aber verhängnisvolle Rolle spielte, die Entwickelung nach seiten der zu erreichenden Illusion. Es ist klar, daß das Kunstwerk, wenn es eine durch den Künstler vollzogene Offenbarung der Natur sein soll, in der Überzeugungskraft seiner Erscheinung mit dem Natureindruck muß wetteifern können. Von Nachahmung ist hier nicht mehr die Rede und die Glaubwürdigkeit des Dargestellten kann nicht an der Übereinstimmung mit einem Naturvorbild gemessen werden. Das Kunstwerk muß an die Stelle der Natur treten; erst dann werden wir aufhören die Kunst durch die Natur sehen zu wollen; wir werden uns vielmehr der Kunst unterwerfen, damit sie

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