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das, was ihm der Inhalt der Natur war, und diese Form konnte er nur auf dem Wege des bildnerischen Schaffens finden. So enthüllte sich ihm die Wahrheit, daß der Mensch zum höchsten Ausdruck der Realität nur durch schöpferische, ideale Gestaltung gelangen kann. In wessen Seele aus den tief empfundenen Anregungen, die auf Schritt und Tritt aus der umgebenden Welt auf ihn eindringen, sich das Bedürfnis entwickelt, ein Bild zu finden, in dem er zu einer Vorstellung dessen gelangen könne, was ihm die sichtbare Natur ist, der befindet sich recht eigentlich auf dem Weg, der von der Natur zur Kunst führt. In der Gestalt, in der er den Reichtum und die Tiefe seines Verhältnisses zur sichtbaren Welt entwickelt, liegt, ohne daß etwas in der Wirklichkeit gefunden werden könnte, was dem Bilde unmittelbar entspräche, die eigentliche Wahrheit, zu der der Eindruck der Natur, sofern sie sichtbare Erscheinung ist, erhoben zu werden vermag. [...]
Indem Marées seinem künstlerischen Ausdrucksbedürfnis eine Form suchte, die von keinerlei gegenständlichem Inhalt bestimmt war, tat er einen neuen Schritt; er erhob sich über das hergebrachte Dienstverhältnis, in dem der bildende Künstler zu allen möglichen Gebieten menschlichen Empfindens, Denkens und Handelns steht, er machte die Kunst zu einem ganz unzweideutigen Ausdruck sichtbarer Wirklichkeit und stellte sie damit als etwas Selbständiges, sich selbst Genügendes neben die anderen großen Betätigungsarten des menschlichen Geistes. Ob er in diesem Bestreben je Nachfolge finden wird, wer kann das wissen? Die Welt folgt nur selten dem (S. 257:) Wege, auf dem sich der Einzelne von der Verworrenheit zur Klarheit durchringt. Und doch könnte die Kunst nur so zu ihrer reinen Gestalt gelangen; alle die Mißverständnisse über die ihr innewohnenden Empfindungs- und Bedeutungswerte würden sich zerstreuen und sie würde nur in ihrem ureigenen Ausdruckswert als die Sprache, in der der Mensch die Sichtbarkeit der Natur unmittelbar auszusprechen vermag, gehandhabt und verstanden werden.

VII.
Freilich würde die bloße Tatsache, daß Marées einen so neuen und selbständigen Weg eingeschlagen hat, noch nicht genügen, um ihm eine hervorragende Bedeutung beizumessen. Diese kann sich nicht aus der allgemeinen, sondern muß sich aus der besonderen Art seines Schaffens ergeben. Hier aber kann selbst die Anschauung der noch von ihm vorhandenen Werke nur eine ungenügende Vorstellung geben. Seine Ziele waren keine naheliegenden, richteten sich nicht auf einzelne bestimmte Werke. In der Art seines Schaffens lag es, daß er viele Versuche wieder vernichtete und nach immer neuen Arten des Ausdrucks suchte. [...]
Von den ersten Jahren seines römischen Aufenthalts an entwickelte sich bei Marées aus der Zusammenordnung von meist nackten Figuren in landschaftlichen Situationen eine eigentümliche Welt künstlerischer Vorstellungen;

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