HOME

    
    
    
    
    
    
    
        
 
   
     
     
     
   
        
    

 

Interesse zu verfallen, Vorgänge darstellt, die vergangenen Epochen des Kulturlebens angehören; wenn er auch innerhalb solcher Stoffgebiete eine große Freiheit der Bewegung hat, so erweckt er durch seine Darstellung im Beschauer doch unwillkürlich das Bedürfnis, jene vergangenen Welten zu neuem Leben erweckt zu sehen; er selbst wird sich von dem Versuch einer künstlichen Zurückversetzung in vergangene Denk- und Empfindungsweisen nicht freihalten können, und da er nun doch einmal ein Kind seiner Zeit ist, so wird eine Art von Unwahrheit entstehen, eine (S. 255:) Verkleidung, die wiederum dem unmittelbaren Naturausdruck hinderlich ist.
Marées mochte dies empfinden, und so verließ er auch diese Gebiete mehr und mehr, um sich eine ganz unabhängige Phantasieform zu schaffen, in der er seine eigenste Naturanschauung zum Ausdruck bringen konnte. Dies hat unbedingt den Mittelpunkt seines Schaffens gebildet; hier erscheinen seine Kräfte zur höchsten Leistung angespannt, seine Werke werden hier am bedeutungsvollsten.
Auch andere Künstler suchen und finden wohl ihre Befriedigung darin, ihr Darstellungsvermögen in den Dienst einer Einbildungskraft zu stellen, die über die gegebene Wirklichkeit hinausgeht. Es gibt unter ihnen höchst merkwürdige und anziehende Erscheinungen; angeregt von einem innigen Naturgefühl, bilden sie scheinbar im Sinne der Natur weiter und führen unserem Auge Gestalten und Vorgänge vor, durch die uns das Reich des Vorhandenen erweitert erscheint. Aber einesteils laufen sie Gefahr, sich in Sonderbarkeiten und Phantastereien zu verlieren, anderenteils treiben sie doch nur ein etwas launenhaftes und willkürliches Spiel mit Bruchstücken, die sie zu ihren besonderen Zwecken der Natur entnehmen. Wenn Marées sich von dem, was im gewöhnlichen Sinne des Wortes Wirklichkeit heißt, entfernte, so geschah dies in einem ganz anderen Sinne. Er war sich vollkommen bewußt, in dem, was er zu gestalten suchte, weder in plattrealistischer Weise einen unmittelbaren Natureindruck wiederzugeben, noch auch die Natur phantastisch umgestalten zu wollen. [...] Marées hatte es wohl begriffen, daß es doch nur etwas Handwerkmäßiges sei, aus dem Studium des einzelnen Naturvorbildes unmittelbar zur Darstellung überzugehen. Wo die künstlerische Tätigkeit darauf hinauslief, in der Wiedergabe einzelner Naturvorwürfe bis zur äußersten Vollendung zu gelangen, da fand er in einer so beschränkten Unterwerfung unter das Vorbild einen nicht geringeren Mangel an wahrer Kunst, als in der so üblichen Mißachtung des Naturstudiums zu Gunsten irgend (S. 256:) eines Gedankeninhalts oder eines sogenannten Schönheitsideals. [...] Sobald er daran ging, das Bild der Natur, was in ihm aus einer reichen, innigen, verständnisvollen Anschauung entstand, bis zum malerischen Ausdruck zu entwickeln, da mußte er sich vor allem von dem Zwang frei machen, den das einzelne und direkte Vorbild auf die schaffende Tätigkeit ausübt. Er fühlte, daß er zu der Natur in einem besonderen nur ihm eigenen Verhältnis stehe, er suchte nach einer Form für

<< Seite 6/9 >>