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Quelle 3: Konrad Fiedler: Hans von Marées

Konrad Fiedler: Schriften zur Kunst I. Text nach der Ausgabe München 1913/14 mit weiteren Texten aus Zeitschriften und dem Nachlaß, einer einleitenden Abhandlung und einer Bibliographie hrg. v. Gottfried Boehm (Bild und Text), München 21991 (Wilhelm Fink), S. 221-274.

VI.
[...] (S. 253:) Was ihn zu einer so außergewöhnlichen Persönlichkeit machte, war nicht nur, daß er inmitten allgemeiner Verwirrung die Hauptaufgabe alles künstlerischen Gestaltens mit dem sichersten Instinkte herausfand, sondern auch, daß er vermöge der Selbständigkeit seines Wesens der unerschöpflichen Natur gleichsam ein neues Geheimnis abgewann. Die Gebilde, die unter seinen Händen entstanden, wirkten auf andere wie eine neue Naturoffenbarung. Es war die Arbeit seines Lebens, jenen anfänglich noch dunklen Drang in unablässig gestaltender Tätigkeit zu immer klarerem und reiferem Ausdruck zu entwickeln. Nur wer seine immer erneuten Versuche von diesem Standpunkt aus betrachtet, kann ihnen trotz des Mangels an Vollendung, an dem sie alle leiden, gerecht werden.
Marées befand sich mit der Aufgabe, zu deren Lösung er sich berufen fühlte, vor einer eigentümlichen Schwierigkeit. Jedes Werk der bildenden Kunst leidet an Zweideutigkeit, die ihm sein doppelter Inhalt, sein künstlerischer als bildnerischer Naturausdruck und sein stofflicher als Darstellung eines Gegenstandes oder Vorganges verleiht. Solange ein gesteigertes Kunstleben den künstlerischen Rücksichten ihr unbedingtes Vorrecht wahrt, ist dies für den Schaffenden bedeutungslos; er wird mit gleicher Bereitwilligkeit jedes Stoffgebiet ergreifen, weil er auf jedem mit der gleichen Freiheit seinen Zielen nachzugehen vermag. In unserer Zeit dagegen wenden sich gerade die ernsten Begabungen - ich nenne nur Männer wie Feuerbach, Böcklin, Thoma - von der Darstellung alles dessen ab, (S. 254:) was das Zeitinteresse fordern würde. Es ist dies nur zu begreiflich, wenn man bedenkt, daß heutzutage die Produktion von der Forderung gegenständlicher Darstellung beherrscht wird. Die Zeit verlangt die Beteiligung der Kunst an allen ihren Aufgaben, ohne weiter danach zu fragen, wie die Kunst dabei ihren eigenen Aufgaben gerecht werden kann; sie nimmt die Unfähigkeit in ihren Dienst, die zufrieden ist, wenn sie um des Inhalts willen ihren anspruchsvollen Leistungen den Schein einer Bedeutung geben kann. Die Kunst, die sich um ihrer selbst willen entwickeln möchte, sieht sich unwillkürlich von den Lebensgebieten verdrängt, die sich ihr ungesucht darbieten würden. [...]
Immerhin muß es als eine Art Notbehelf angesehen werden, wenn der Künstler, um nicht dem gegenständlichen

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