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uns in der Natur gewiß nicht auf leidenschaftliche, gewaltsame Art angesprochen; dazu stehen sie uns zu entfernt, wenn überhaupt von ihrer ästhetischen Wirkung die Rede sein soll; denn daß den Schiffbrüchigen die Schönheit des Wellenschlags, den durch Feuer Geschädigten die Schönheit der Beleuchtung nicht interessieren könne, ist für sich klar. Nur das uns dicht Berührende, uns eng Verbundene kann durch seine Veränderungen auch uns selbst am heftigsten aufregen, mit Begierden oder mit Haß erfüllen; in der freien, uns ganz objektiv erscheinenden Natur aber, bemerken wir vielmehr ein stilles, in sich gekehrtes, gleichförmiges, gesetzmäßiges Leben: das Wechseln der Tages- und Jahreszeiten, den Wolkenzug und alle Farbenpracht des Himmels, das Ebben und Fluten des Meeres, das langsame, aber unaufhaltsam fortschreitende Verwandeln der Erdoberfläche, das Verwittern nackter Felsgipfel, deren Körner, alsbald herabgeschwemmt, fruchtbares Land erzeugen, das Entstehen der Quellen, nach den Richtungen der Gebirgszüge sich zu Bächen und endlich zu Strömen zusammenfindend, alles folgt stillen und ewigen Gesetzen, deren Herrschaft wir zwar selbst mit untergeben sind, die uns trotz jedem Widerstreben zwar mit sich fortziehen und, indem sie uns mit geheimer Macht die Blicke auf einen großen, ja ungeheuern Kreis von Naturereignissen zu wenden nötigen, uns von uns selbst abziehen, die eigene Kleinheit und Schwäche uns empfinden lassend, deren Betrachtung jedoch zugleich auch die innern Stürme besänftigend und auf alle Weise beruhigend wirken muß. Tritt denn hin auf den Gipfel des Gebirges, schau hin über die langen Hügelreihen, betrachte das Fortziehen der Ströme und alle Herrlichkeit, welche Deinem Blicke sich auftut, und welches Gefühl ergreift Dich? - es ist eine stille Andacht in Dir, Du selbst verlierst Dich im unbegrenzten Räume, Dein ganzes Wesen erfährt eine stille Läuterung und Reinigung, Dein Ich verschwindet, Du bist nichts, Gott ist alles.
Doch nicht bloß gewaltsame Größe, wie sie im Leben eines Planeten erscheint, ebenso ein rechtes Hinblicken auf das stille, heitere Leben der Pflanzenwelt wirkt auf ähnliche Weise. Sieh, wie die Pflanze langsam, aber kräftig aus dem Boden sich erhebt, wie von Stufe zu Stufe ihre Blätter sich entfalten, in stiller Entwicklung vorwärtsschreitend zu Kelch und Blume sich verwandeln, und endlich im Samenkorn den Ring beschließend, zugleich wieder das Eröffnen eines neuen veranlassen. Finden wir uns nun von einer sich selbst überlassenen üppigen Pflanzenwelt umgeben, übersehen wir mit einem Blicke den verschiedenartigen Lebenslauf so vieler Gewächse, treffen wir sogar auf manche ehrwürdige Baumgestalt, deren Jahrhunderte umfassende Dauer uns fast an das nach Jahrtausenden wie nach Tagen zählende Leben der Erde erinnert, so erfahren wir eine gleiche Einwirkung wie unter den oben erwähnten Bedingungen; ein stilles Sinnen bemächtigt sich unserer; wir fühlen das unruhige Trachten und Streben gemäßigt, wir gehen ein in den Kreis der Natur und erheben uns über uns selbst. [...]
Dein Albertus.
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