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Poussin, La mort de Germanicus, 1627

Das klassische Bild

Das 18. Jahrhundert galt den Zeitgenossen zunehmend als Verfallszeit der Historienmalerei, denn sie hatte ihren Rang eingebüßt, den sie unter der von 1643 bis 1715 währenden Regierungszeit König Ludwigs XIV. inne hatte. Im grand siècle des Sonnenkönigs diente die Historienmalerei der Propagierung der absoluten Stellung des Königs im Staate. Selbst wenn der König nicht selbst dargestellt war, war jegliches heldisches Handeln auf ihn beziehbar.

Unter der Herrschaft Ludwigs wurde 1648 die Académie royale de peinture et de sculpture gegründet, die in den 1660er und 1670er Jahren eine feste Doktrin der Malerei ausformuliert hat. Diese galt in erster Linie der vornehmsten Gattung, der Historie. Porträt, Genre, Landschaft und Stilleben galten als weniger bedeutende Bildgattungen, die keinen intellektuellen Disput erforderten. Als Vorbilder galten den Akademikern die Italiener Raffael, Tizian und Veronese, von den Franzosen selbst wurde Nicolas Poussin (1594-

1665) am meisten geschätzt. Dieser in Rom lebende peintre philosophe gilt als der Vordenker der Doktrin, die vom Sekretär der Akademie, André Félibien (1619-1695) formuliert und von Charles Le Brun (1619-1690) (Bild) für die Bedürfnisse des Königs in Versailles umgesetzt wurde. Ein weiterer Vertreter war Pierre Mignard (1612-1695) (Bild).

Der Theorie zufolge ist das klassische Bild durch eine gesetzmäßig faßbare, rationale Ordnung gekennzeichnet, die die schrittweise Erschließung des Sinnes der dargestellten Handlung ermöglicht. Darstellungskriterien sind Angemessenheit (convenance), Schicklichkeit (bienséance) und Wahrscheinlichkeit (vraisemblance). Letztere verlangt die aristotelische Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Inhaltliches Zentrum des Bildes ist der Held oder eine Hauptgruppe in demonstrativer Gestik und denkwürdiger Handlung. Das Bildzentrum gibt allem sonst Erscheinenden Existenzberechtigung und Sinn. Poussins Vorbildlichkeit für die französische Akademie ist gerade darin zu sehen, daß er in seinen Bildern zeigte, wie der rationale Nachvollzug auch der komplexesten Bezüge anschaulich zu gewährleisten ist. Kompositionsmittel sind ein pyramidaler Bildaufbau sowie die Mittelstellung und Heraushebung der Hauptfigur durch die Lichtführung.

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