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     Titelblatt der Encyclopédie, 1751

Das Ende der Aufklärungsästhetik

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war die Kunst so starken Veränderungen unterworfen, daß man in der Rückschau von einer vollständigen Transformation sprechen kann. Alle Fragen zum Wesen der Kunst und zu ihrer Funktion in der Gesellschaft wurden mit neuen Antworten bedacht. Die Auseinandersetzung mutet zunächst wie ein Generationenkonflikt an: Eine jüngere Generation, in erster Reihe vertreten durch Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) und Karl Philipp Moritz (1757-1793), machte sich seit den 1770er Jahren daran, ihren kategorischen Unmut an den Kunstansichten der Aufklärung zu äußern, welche über weite Teile des 18. Jahrhunderts Gültigkeit besessen hatten. Goethes Kritik entzündete sich dabei gerade an jenem Werk, welches das ästhetische Fragen betreffende Theoriegebäude der Aufklärung zu einem Abschluß gebracht hatte:an der "Theorie der Schönen Künste" von Johann Georg Sulzer (1720-1799).
Diese als Lexikon konzipierte Theorie, in zwei Bänden 1772 bzw.1774 erschienen und mehrfach wieder aufgelegt, war derart

weit verbreitet, daß sich jeder Kritiker aufgeklärter Kunstpositionen unmittelbar auf sie beziehen konnte. Ihr Autor stand in einer langen, hauptsächlich französisch geprägten Tradition, die im wesentlichen auf Jean-Baptiste DuBos' 1719 publiziertem Werk "Réflexions critiques sur la poésie et la peinture" fußte. Mit der Encyclopédie Diderots und d'Alemberts stand die "Theorie der Schönen Künste" insofern in engem Zusammenhang, als daß sich Sulzer auf das dort behandelte enzyklopädische Stichwort "les arts" gestützt hatte, während der Nachtragsband der Enzyklopädie von 1777 unter "les arts" einen Text bot, der wiederum unter dem Einfluß Sulzers stand. So hatte Sulzer seinerseits Einfluß auf die Kunstauffassung der französischen Revolution gehabt.
Der Kern aufklärerischer Ästhetik lag in der Zweckbestimmung, daß ein Kunstwerk eine ganz bestimmte Wirkung auf den Betrachter auszuüben habe, nämlich eine solche, die belehrt, die der Moral förderlich und der Erziehung des Menschen zum Mitglied eines Gemeinwesens dienlich ist. Themenwahl und Darstellungsart waren auf diese Ziele hin ausgerichtet. Der Betrachter sollte sich dem Bild unter Leitung seines Verstandes nähern - jener Instanz, die nicht nur zu Erkenntnis führte, sondern die in den Augen der Aufklärer auch fähig war, den Charakter und damit das Wesen eines Menschen unter moralischen Prämissen zu formen. Künstlerische Forderungen des Stils und der Schönheit wurden hintan gestellt.

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