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Quelle 3: Goethe: Von deutscher Baukunst (1772) (Bild)

Johann Wolfgang von Goethe: Von deutscher Baukunst (1772), in: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd. XII, Hamburg 1960,
S. 7-15.

VON DEUTSCHER BAUKUNST

D. M. Ervini a Steinbach

Als ich auf deinem Grabe herumwandelte, edler Erwin, und den Stein suchte, der mir deuten sollte: Anno domini 1318. XVI. Kal. Febr. obiit Magister Ervinus, Gubernator Fabricae Ecclesiae Argentinensis, und ich ihn nicht finden, keiner deiner Landsleute mir ihn zeigen konnte, daß sich meine Verehrung deiner an der heiligen Stätte ergossen hatte, da ward ich tief in die Seele betrübt, und mein Herz, jünger, wärmer, töriger und besser als jetzt, gelobte dir ein Denkmal, wenn ich zum ruhigen Genuß meiner Besitztümer gelangen würde, von Marmor oder Sandsteinen, wie ich's vermöchte.
    Was braucht's dir Denkmal! Du hast dir das herrlichste errichtet; und kümmert die Ameisen, die drum krabbeln, dein Name nichts, hast du gleiches Schicksal mit dem Baumeister, der Berge auftürmte in die Wolken.
    Wenigen ward es gegeben, einen Babelgedanken in der Seele zu zeugen, ganz, groß, und bis in den kleinsten Teil notwendig schön, wie Bäume Gottes; wenigern, auf tausend bietende Hände zu treffen, Felsengrund zu graben, steile Höhen drauf zu zaubern, und dann sterbend ihren Söhnen zu sagen: Ich bleibe bei euch, in den Werken meines Geistes, vollendet das Begonnene in die Wolken.
    Was braucht's dir Denkmal! und von mir! Wenn der Pöbel heilige Namen ausspricht, ist's Aberglaube oder Lästerung. Dem schwachen Geschmäckler wird's ewig schwindlen an deinem Koloß, und ganze Seelen werden dich erkennen ohne Deuter.
[...]
    Es ist im kleinen Geschmack, sagt der Italiener, und geht vorbei. Kindereien! lallt der Franzose nach, und schnellt triumphierend auf seine Dose à la Grecque. Was habt ihr getan, daß ihr verachten dürft?
    Hat nicht der seinem Grab entsteigende Genius der Alten den deinen gefesselt, Welscher! Krochst an den mächtigen Resten, Verhältnisse zu betteln, flicktest aus den heiligen Trümmern dir Lusthäuser zusammen und

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