Zitiert nach: Carl Schuch 1846-1903,
Ausstellungskatalog Mannheim u. München 1986, wiederum
zitiert nach: Karl Hagemeister: Karl Schuch. Sein Leben
und seine Werke, Berlin 1913, S. 67-70.
Venedig,
30. März 1878
Flächen malen ist ein ganz richtiges Prinzip, so
gut als ein andres, aber dieses darf so wenig Manier
werden als Konturenzeichnen, das eine wie das andre
darf nicht auswendig gemacht werden, sondern den Sinn
der Natur erläutern - es ist ein Weg zur Darlegung
der Naturabsicht, nicht ein bequemes Papierflächendecken.
Ferch, dem auch deine beste Zeichnung entstammt, muß
ein reizendes Nest sein - wie weit von dir zu Haus -
und läßt sich dort leben und wohnen? In Werder
selbst möchte ich nicht bleiben, ich muß
inmitten der Natur sein, die ich male, um sie in jedem
Augenblick studieren zu können, herumlaufen, suchen,
gucken, drin leben, um sie ganz auf mich wirken zu lassen,
in ihr ganz aufzugehen. Die wahre Landschaftsmalerei,
und besonders in unserm heutigen Sinn, verlangt diese
Intimität. Unser heutiges Verhältnis zur Natur
ist ein lyrisches. Naturempfindung kann nur vertieft
werden durch das intimste Einleben in ihr Wesen - vollständig
ungestört von außen. Sollte ich das einmal
finden, so hätte ich nur noch eins zu beklagen:
das Abreißen dieser sich immer mehr entwikkelnden
Harmonie der subjektiven Empfindung mit dem uns endlich
lebendig gewordenen Wesen der Natur durch die verfluchte
Winterszeit. Einen Vorteil bringt solche Unterbrechung
wohl mit sich, daß man Jahrs darauf mit neuer
Frische sich einlebt und etwaige Verranntheiten abstreiten
kann. Aber dann geht es uns im Anfang meist, wie wenn
wir nach langer Zeit eine Liebe wiedersehn und dann
lange rot und verlegen uns auf Kohlen winden, bis das
alte Verhältnis endlich wieder auf dem Punkte gefunden
wird, wo wir es verlassen haben, und kostbare Zeit geht
verloren. Ich besonders muß sozusagen alle Jahre
frisch anfangen, was allerdings seine tröstliche
Seite hat darin, daß man in keiner Sackgasse stecken
bleibt. Was das Gebirg betrifft, so ists wohl sehr richtig,
daß dem schwerer originell beizukommen ist, indessen
bietet es einer rein malerischen Auffassung auch viel
des Interessanten: Seen, Bäche, Berge mit ihrer
unendlichen Abwechslung an Farben und Stimmungen. Gebäude
aus Stein und Holz, die Farben des der Sonne ausgesetzten
Holzes an Brettern und Balken, Mühlen, wie sie
sich in der Schweiz und Tirol, sehr interessante, in
jedem Nest finden. Das alles ist auch nicht ganz ohne,
namentlich mit Hinzuziehung der stärkenden Lust,
der ich sehr bedürftig bin. Architektur und Landschaft,
womöglich in Verbindung, ist mir jetzt das Liebste
zu malen. Die Architektur ist mir dabei das Gängelband
- wie's das Stilleben der Architektur ist bis zum selbständigen
Schaffen. So erweitert man sich vom Niedern zum Höhern,
vom speziellen Fall zur Verallgemeinerung, die dann
den Kern und Grundgedanken der speziellen Erscheinung
entbindet - aber bis dahin ist noch ein Stück Weg,
dessen Stationen ich wohl vor mir
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