Quellen zu Aufgabe "Reine
Malerei": der Leibl-Kreis
Quellengruppe 1: Wilhelm Leibl
Wilhelm Leibl an seine Mutter (1876)
Wilhelm Leibl (1844-1900). Briefe
mit historisch-kritischem Kommentar. Gesamtverzeichnis
des schriftlichen Nachlasses, hrsg. von Boris Röhrl,
Hildesheim/Zürich/New York 1996, Brief Nr. 45,
S. 103-106.
Unter-Schondorf,
den 3. Juni 1876
Liebe Mutter!
[...]
Deiner Einladung nach Zell kann ich im July nicht nachkommen.
Ich bin nämlich jetzt mit einem größeren
Bilde ["Die Dorfpolitiker"] beschäftigt,
welches meine Zeit vielleicht noch im August in Anspruch
nimmt und welches absolut fertig gemacht werden muß,
je eher, je lieber; denn ich habe gesehen, daß
ich nur mehr und rascher aufeinander auszustellen brauche,
um die anderen aus dem Felde zu schlagen. [...]
[...]
Über den Gegenstand kann ich nicht viel sagen,
weil er zu unbedeutend ist. Du brauchst Dich hierüber
nicht zu alternieren, denn meinem Principe gemäß,
kommt es nicht darauf an "Was", sondern "Wie",
zum Leidwesen der Kritiker, Zeitungsschreiber und des
großen Haufens, denen das "Was" die
Hauptsache ist, weil die einen hierin ja ihr Objekt
finden, über das sie sich nach Belieben verbreiten
können und die ändern auch daran etwas haben,
worüber sie schwätzen können, das "Wie"
aber etwas ist, was erstens sehr wenige verstehen, zweitens
aber auch kaum beschrieben werden kann, was es auch
nicht nöthig hat, denn es ist ja gemalt und jeder
soll sich's selbst ansehen, und wenn einer der Rechte
ist, so wird er finden, was er sucht.
Beinahe aber hätte ich noch eine Kategorie vergessen,
denen das "Was" die Hauptsache ist und das
sind die deutschen Künstler selbst. Bei diesen
wird wohl der Grund darin zu finden sein, daß,
wie jeder Deutsche weiß, die Deutschen Gelehrte
sind und andere immer belehren wollen. Da man aber in
der Kunst das "Wie" nicht lehren und nicht
lernen kann, so wissen sie nichts davon und können
auch ändern nichts davon mitteilen und müssen
sich mit dem "Was" begnügen.
|