HOME

    
    
    
    
    
        
 
   
     
     
     
   
        
    
    
    

 

Hingebung, als Brüten und Sinnen, als Einsicht und Grimm der Individuen ausgedrückt, die ans Feuer gesezt sind, um zum Handeln gar zu werden, und jeder nach seiner Masse dem Siedpunkt sich nähern, zum Theil auch schon drüber hinaus sind. Die Reclamation also der Utraquisten1, ihr Recht, ihre Macht, ihre Gewalt und Grausamkeit sind als ihre Zustände, als ihre Passivität dargestellt. Ich glaube, daß diese Auffassung die richtige ist, wo man Kampf und Schwärmerei in der geschichtlichen Bedeutung darzustellen hat. [...] Man empfindet auch wohl, worum es sich handle. Der goldene, mit köstlichen Steinen blinkende Kelch, in der Mitte Aller über ihre Häupter erhoben, ist fühlbar der Brennpunkt der rings ergossenen Begeisterung und Leidenschaft. Der (S. 74:) Dolmetscher seines Werthes, der ihn emporhält, dieser Feldprediger eigener Art, kräftig, groß, noch nicht alt von Jahren, hart von Wuchs, durchbrannt von Gluth, mit einer zehrenden Selbstthätigkeit in den Mienen und dunkelglühenden Blicken, - wie er das Gefäß göttlichen Segens hält, gleicht er selbst dem Gefäß eines göttlichen Zornes. Man sieht an ihm das Heilige ins Dämonische übergehen. [...] Groß ist die Macht der Beschwörung, die hier einen Sturm hervorruft; aber bändigen wird sie ihn nicht und er kann nur im Untergang der Beschwornen nach äußerstem Widerstand endigen. [...] - Wohl ist also auf diesem Gemälde in der dargestellten Passivität der Organe eine tragische Bedeutung der Handlung und Geschichte mit ausgesprochen. Daß dieser tiefere Sinn ergreifend in die Anschauung tritt, danken wir einer Charakteristik der Hauptfigur, und mehrerer im Ausdruck eben so bedeutenden Physiognomien ihrer Umgebung - einer Charakteristik, sag' ich, die nur aus einem so gestaltsamen Vollgefühl des Menschlichen, wie es in Lessing's Brust lebt, hervorgehen konnte. [...] Dieser Prediger ist kein Priester Gottes, aber auch kein Baalspriester. Er hat Recht, daß er den Kelch und das theure Opfer, welches der Kelch bedeutet, als ein unveräußerliches Eigenthum aller Kinder Gottes, nicht irgend eines bevorzugten Standes, hochpreist. Aber diese Idee, die er selbst proclamirt, verleugnet er selbst. Die Versöhnung, die er als allgemeine anspricht, ist an ihm selbst unbewährt und widersprochen durch die gewaltsame, düstere, unbefriedigte Leidenschaft, deren lebendiger Ausdruck er ist. Die Liebe, die er allgemein nennt, findet in ihm sich nicht; sondern Haß, Zorn und Grimm. Es ist hier gleichgültig, ob wir davon die Schuld in ihm selbst oder in denjenigen suchen, welche den Gläubigen das göttliche Symbol entzogen hatten. In jenem Falle wird sein Zustand als besonderer Frevel, in diesem als idiopathisches Unglück2, beidemal als ein Widerspruch gegen das Heilige von der Art erscheinen, daß sich die Wahrheit und reine Macht dieses Heiligen in diesem Organ nicht offenbaren kann. Das Heilige ist an ihm nur Zerstörung und wird hinwieder von ihm zerstört. Er ist getheilt zwischen Gottes Gerechtigkeit und dämonischer Gewalt, und die Betrachtung der Idee, in welcher der Widerspruch seines Zustandes Erklärung und Beruhigung findet, geht über seinen Anblick hinaus

<< Seite 4/12 >>