Quelle 2: Berichte aus dem Kunstblatt über
Lessings "Hussitenpredigt"
Kunstblatt, 17. Jg. (1836),
Nr. 79 (4. Oktober), S. 326.
Düsseldorfer Kunstbericht. Ausstellung 1836.
[...]
Eine längst erwartete wichtige Erscheinung war
Lessing's Hussitenpredigt, welche im Laufe der Ausstellung
vollendet ward. Die Aufgabe, welche der Künstler
sich stellte, war, scheint es, auch in der Entstellung
durch wilden Fanatismus den Geist der Andacht und frommer
Hingebung, wenn auch zum Theil in seinem Gegenbilde,
zu zeigen. Auf einer kleinen Erhöhung steht der
Redner, nicht in geistlicher Tracht, aber mit den bleichen,
von manchen heftigen Gefühlen durchwühlten
Zügen des Schwärmers. Die trübe Begeisterung
seiner Mienen, das ungeordnete Haar, das flatternde
Gewand, der hoch erhobene Kelch, vom entblößten
Arme geschwungen, zeigen die innere Gewalt seiner Empfindung,
die fortreißende Kraft seines Eifers. Um ihn herum
sind im Kreise seine Zuhörer versammelt, wenige
Weiber, ein Knabe, meistens Männer, mit mannichfaltigen
Waffen, wie sie der Aufruhr gibt, mit kampfgestählten
Gesichtern, theils kniend, theils stehend, theils von
der brennenden Stadt im Hintergrunde eben herbeieilend,
vom Rosse gestiegen, oder vom Sattel den Worten des
Predigers zuhörend. Lessings historische Bilder
haben einen Charakterzug, den ich den landschaftlichen
nennen möchte; es kommt nicht sowohl auf einzelne
Heroen an, in denen sich das Ganze sammelt und repräsentirt,
als auf Volksmassen, in denen sich ein Gefühl in
vielfältig verschiedenen Individualitäten
spiegelt. Die Einzelnen sind nur Theile des Ganzen,
wie der Baum in der Landschaft. Es ist derselbe Grundzug
der Zeit, welcher auch in der Poesie (ich erinnere an
die historischen Romane) sich ausspricht, und der in
der geschichtlichen Entwickelung unserer Tage unverkennbar
herrscht. [...]
Kunstblatt, 18. Jg. (1837), Nr.
19 (7. März), S. 73-76.
Berlin, im Januar 1837.
(Fortsetzung von Nr. 17.)
Die lyrische Darstellung des historischen Gegenstandes
herrscht auch in Lessing's Hussitenpredigt. Hier ist
sie schon in der Conception, im Gedanken des Ganzen
gegeben. Es wird auch hier blos die Empfindungsseite
der historischen Handlung vorgestellt. Die Nothwendigkeit
des Thuns erscheint als schwärmerischer Eifer des
Predigers und als Ergriffenheit der Zuhörer. Bedürfniß,
Entschluß, Thatausbrüche, Kämpfe, opfernde
Begeisterung und verheerende Wuth, wie die Geschichte
sie erzählt, sind hier als Leiden und
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