Quelle 2: Goethes Rezension von Sulzer:
Die Schönen Künste (1772)
Johann Wolfgang von Goethe:
Aus den Frankfurter Gelehrten Anzeigen. Die schönen
Künste, in: Goethes Werke, Hamburger Ausgabe, Bd.
XII, Hamburg 1960, S. 15-20.
Die schönen Künste in ihrem
Ursprung, ihrer wahren Natur und besten Anwendung, betrachtet
von J. G. Sulzer. Leipzig 1772. 8. 85 S.
Sehr bequem ins Französische zu übersetzen,
könnte auch wohl aus dem Französischen übersetzt
sein. Herr Sulzer, der nach dem Zeugnis eines unsrer
berühmten Männer ein ebenso großer Philosoph
ist als irgendeiner aus dem Altertume, scheint in seiner
Theorie, nach Art der Alten, mit einer exoterischen
Lehre das arme Publikum abzuspeisen, und diese Bogen
sind, wo möglich, unbedeutender als alles andre.
Die schönen Künste,
ein Artikel der allgemeinen Theorie, tritt hier besonders
ans Licht, um die Liebhaber und Kenner desto bälder
in Stand zu setzen, vom Ganzen zu urteilen. Wir haben
beim Lesen des großen Werks bisher schon manchen
Zweifel gehabt; da wir nun aber gar die Grundsätze,
worauf sie gebaut ist, den Leim, der die verworfnen
Lexikonsglieder zusammenkleben soll, untersuchen, so
finden wir uns in der Meinung nur zu sehr bestärkt:
hier sei für niemanden nichts getan als für
den Schüler, der Elementa sucht, und für den
ganz leichten Dilettante nach der Mode.
Daß eine Theorie der Künste
für Deutschland noch nicht gar in der Zeit sein
möchte, haben wir schon ehmals unsre Gedanken gesagt.
Wir bescheiden uns wohl, daß eine solche Meinung
die Ausgabe eines solchen Buches nicht hindern kann;
nur warnen können und müssen wir unsre gute
junge Freunde vor dergleichen Werken. Wer von den Künsten
nicht sinnliche Erfahrung hat, der lasse sie lieber.
Warum sollte er sich damit beschäftigen? Weil es
so Mode ist? Er bedenke, daß er sich durch alle
Theorie den Weg zum wahren Genusse versperrt, denn ein
schädlicheres Nichts als sie ist nicht erfunden
worden.
Die schönen Künste,
der Grundartikel Sulzerischer Theorie. Da sind sie denn,
versteht sich, wieder alle beisammen, verwandt oder
nicht. Was steht im Lexiko nicht alles hintereinander?
Was läßt sich durch solche Philosophie nicht
verbinden? Malerei und Tanzkunst, Beredsamkeit und Baukunst,
Dichtkunst und Bildhauerei, alle aus einem Loche, durch
das magische Licht eines philosophischen Lämpchens
auf die weiße Wand gezaubert, tanzen sie im Wunderschein
buntfarbig auf und nieder, und die verzückten Zuschauer
frohlocken sich fast außer Atem.
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