Mannigfaltigkeit bringt Leben in das Landschaftsbild.
Sie entsteht durch die verschiedenen zahl- und namenlosen
Linien, aus welchen die Form jedes Dinges sich zusammensetzt.
Alle diese Dinge fließen zusammen in Massen und
gehen dann harmonisch in Hauptlinien über. Beinahe
jedes Blatt auf dem Baum hat eine andere Richtung, bildet
eine andere Linie, und zusammen bilden größere
Partien die ganze Form des Baumes. Der mindere oder
stärkere Wind wird dem Laub eine mehr oder weniger
bemerkbare allgemeine Richtung geben. Durch die Verschiedenheit
der Linien entsteht Leben und Bewegung.
Durch Unachtsamkeit fällt man in einen gewissen
Schlendrian von Einförmigkeit, und das ist's, was
man maniriert nennt.
Zwei Dinge in der Malerei erfordern tiefes Denken des
Künstlers und sind ihm unentbehrlich. Je mehr er
sie in seiner Gewalt hat, desto höher wird er steigen,
und seine Werke werden den rechten Kunstwert bekommen.
Das sind: Harmonie und Mannigfaltigkeit.
Harmonie ist das Schöne, Mannigfaltigkeit das Leben.
Sonntag, den 30. Januar [1825]
Unsere Versammlung bei Thomas gestern abend war wieder
recht interessant; wir kamen in einen Kunstdiskurs,
den ich auf Friedrichs Auffassung der Naturgegenstände
lenkte, weil ich selbst darüber in Gewißheit
kommen wollte.
Man hat oft versucht, die bedeutende Sprache der Natur
zu entziffern und zu erklären; z.B. die geometrischen
Grundformen der Körper: Linie, Punkt, Kreis, Dreieck;
jede drückt etwas aus und erweckt eine andere Empfindung
in uns, wie die Linie Ausdehnung, der Punkt Zusammenziehung,
die Wellenlinie -Bewegung usw. So ist man auch weiter
gegangen und hat z.B. die Vögel mit den Gedanken
verglichen. Den Fisch verglich man mit der Empfindung,
er lebt still in seinem flüssigen Element, und
die kleinste Bewegung erschüttert kreisend das
Wasser. Das mag man nun alles leicht nehmen und für
unbedeutend halten oder nicht, man ahnt doch wohl den
lebendigen Geist, welcher durchs All geht und jedem
Blümchen, jedem Fels, jeder Linie, Farbe, Ton,
seinen eigentümlichen Charakter, sein inneres geistiges
Leben gibt, wodurch diese Dinge auf unser Gemüt
wirken und jene unerklärbaren Empfindungen in uns
erregen. Ueber jene geistige Auffassung der Natur kamen
wir nun auch auf Friedrich zu sprechen; mir scheint
die Auffassungsweise Friedrichs auf einem Abweg zu führen,
der in unseren Zeiten sehr epidemisch werden kann; seine
meisten Bilder atmen jene kranke Schwermut, jenen
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