Quellen zu Aufgabe Neubegründung
der Kunst aus dem subjektiven, religiösen Gefühl:
Philipp Otto Runge
Quelle 1: Brief von Philipp Otto Runge an
seinen Bruder Daniel 1802: Das Entstehen der Kunst
Peter Betthausen (Hrsg.): Philipp
Otto Runge. Briefe und Schriften, Berlin 1981²,
S. 71-77.
Dresden, den 9. März 1802
Es hat mich immer ziemlich in Verlegenheit gesetzt,
wenn Hartmann oder sonst jemand bei mir voraussetzten
- oder wenigstens von ändern sagten: Der und der
weiß eigentlich auch nicht recht, was die Kunst
ist. [...] Ich suchte dann in so allgemeinen Sentenzen
Licht zu erhalten wie z. B.: Ein Kunstwerk ist ewig
oder: Ein Kunstwerk erfordert den ganzen Menschen
und die Kunst die ganze Menschheit oder: Man
soll sein Leben wie ein Kunstwerk betrachten und
solche Sachen mehr, die mir alle auf einen Punkt zu
deuten schienen, der doch noch erst ergründet werden
müßte [...]. Nun ist es mir denn seit einiger
Zeit ordentlich wie ein Licht in der Seele aufgegangen
[...].
[...]
[...] Ich saß vor meinem Bilde, und das, was ich
zuerst darüber gedacht, wie es in mir entstanden,
die Empfindungen, die in mir jedesmal beim Monde oder
beim Untergange der Sonne aufsteigen, dieses Ahnen der
Geister, die Zerstörung der Welt, das deutliche
Bewußtsein alles dessen, was ich von jeher darüber
empfunden hatte, gingen meiner Seele vorüber; mir
wurde dieses feste Bewußtsein zur Ewigkeit: Gott
kannst du hinter diesen goldnen Bergen nur ahnen, aber
deiner selbst bist du gewiß, und was du in deiner
ewigen Seele empfunden, das ist auch ewig - was du aus
ihr geschöpft, das ist unvergänglich; hier
muß die Kunst entspringen, wenn sie ewig sein
soll. - Wie es nun weiter in mir ergangen, inwiefern
ich aus diesen verworrenen Gefühlen mich herausgearbeitet
und sie zu regulieren gesucht, das höre nun [...].
Wenn der Himmel über mir von unzähligen Sternen
wimmelt, der Wind saust durch den weiten Raum, [...]
über dem Walde rötet sich der Äther,
und die Sonne erleuchtet die Welt; [...] ich werfe mich
im Grase unter funkelnden Tautropfen hin, jedes Blatt
und jeder Grashalm wimmelt von Leben, die Erde lebt
und regt sich unter mir, alles tönet in einen Akkord
zusammen, da jauchzet die Seele laut auf und fliegt
umher in dem unermeßlichen Raum um mich, es ist
[...] keine Zeit, kein Anfang und kein Ende, ich höre
und fühle den lebendigen Odem Gottes [...]: hier
ist das Höchste, was wir ahnen - Gott!
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