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Die Idee der Urpflanze
Für Goethe mußte ein Kunstwerk, das mit vollem
Recht den Namen Kunstwerk verdiente, am Ideal teilhaben, denn
nur so konnte es eine allgemeine Gültigkeit beanspruchen.
Dabei war die Kunst für Goethe kein autonomes Feld, vielmehr
war sie Teil einer angewandten Naturanschauung. Kunst war
die Gestaltung allgemeiner Prinzipien in einem spezifischen
Medium, und die Allgemeingültigkeit aller Formen war
für Goethe in der Natur begründet.
Die enge Verbindung von Kunst- und Naturanschauung war es,
die Goethe von Moritz unterschied. Zentral ist dabei die Idee
der "Urpflanze", auf die er erstmals 1787 gekommen
war, als er im botanischen Garten von Palermo seine Studien
trieb. Die Urpflanze ist ein Gedankenmodell, das Goethe, wie
er glaubte, in den Stand setzte, über die existierende
Vielfalt der Arten hinaus Phänomene zu erfinden, die
keine Phantastereien wären, sondern denen Wahrheit und
Notwendigkeit zugesprochen werden kann. Im Juni 1787 schrieb
er an Charlotte von Stein: "Die Urpflanze wird das
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wunderlichste Geschöpf von der Welt, um welche
mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell
und dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen
ins Unendliche erfinden, die konsequent sein müssen,
das heißt: die, wenn sie auch nicht existieren,
doch existieren könnten und nicht etwa malerische
oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern
eine innerliche Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe
Gesetz wird sich auf alles übrige Lebendige anwenden
lassen."
Goethe sah im eingehenden Naturstudium die Möglichkeit,
die Naturgesetzlichkeit zu erkennen und im Fortfahren
auf dieser Bahn zu eigenen, künstlerischen Schöpfungen
zu gelangen, denen ebenfalls Wahrheit und innere Notwendigkeit
eigen seien. Der Künstler, welcher so die Wesenheit
der Dinge erkenne, setze die Produktivität der
Natur fort, das Kunstwerk sei gesteigerte Natur, in
dem die Subjektivität des Künstlers mit der
Objektivität der Natur zusammenkomme.
Diese Gedanken, zusammen mit den Ausführungen Friedrich
Schillers, wurden von Landschaftsmalern wie Jakob Philipp
Hackert (1737-1807) und Johann Christian Reinhart (1761-1847)
aufgenommen, die sich fragten, wie ihre Hervorbringungen
auf dem Feld der Landschaftsmalerei "wahre Kunst"
sein können. Auch die nachfolgende romantische
Landschaftsmalerei stellte sich die Frage, was durch
die Natur zum Ausdruck komme, sie kam jedoch zu gänzlich
anderen Lösungen.
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