zum unüberlegten Genuß desselben zu locken?
[...]
[...]
Also müssen wir die schönen Künste, als
die nothwendigen Gehülfen der Weisheit ansehen,
die für das Wohlseyn der Menschen sorget. Sie [die
Weisheit] weiß alles, was der Mensch seyn soll;
sie zeichnet den Weg zur Vollkommenheit und der nothwendig
damit verbundenen Glückseligkeit. Aber die Kräfte,
diesen oft steilen Weg zu besteigen, kann sie nicht
geben; die schönen Künste machen ihn eben,
und bestreuen ihn mit Blumen, die durch den lieblichsten
Geruch den Wanderer zum weitern Fortgehen unwiderstehlich
anlocken.
[...] Die reizende Kraft der schönen Künste
kann leicht zum Verderben der Menschen gemißbraucht
werden; gleich jenem paradiesischen Baum, tragen sie
Früchte des Guten und des Bösen, und ein unüberlegter
Genuß derselben kann den Menschen ins Verderben
stürzen. Die verfeinerte Sinnlichkeit kann gefährliche
Folgen haben, wann sie nicht unter der beständigen
Führung der Vernunft angebauet wird. [...]
[...]
Wegen ihres ausnehmenden Nutzens verdienen sie von der
Politik durch alle ersinnliche Mittel unterstützt
und ermuntert, und durch alle Stände der Bürger
ausgebreitet zu werden; und wegen des Mißbrauchs,
der davon gemacht werden kann, muß eben diese
Politik sie in ihren Verrichtungen einschränken.
[...]
[...]
Einige Schriftsteller sprechen von der Geschichte der
Kunst auf eine Art, die uns glauben machen könnte,
sie seyen Jahrhunderte durch völlig verlohten gewesen.
Aber dieses streitet gegen die historische Wahrheit.
Von den Zeiten des Augustus, bis auf die Zeiten Pabst
Leo des X, ist kein Jahrhundert gewesen, das nicht seine
Dichter, seine Mahler, seine Bildhauer, Steinschneider,
Tonkünstler, und seine Schauspieler gehabt. Es
scheinet sogar, daß in zeichnenden Künsten
hier und da ein glüklichers Genie Versuche gemacht,
Schönheit und Geschmak wieder in die Künste
einzuführen.2
Aber die Würkung davon erstrekte sich nicht weit.
Wie die Verderbniß der Sitten in dem zwölften
und einigen folgenden Jahrhunderten zu einem fast unbegreiflichen
Grade herabgefallen, so waren auch die schönen
Künste in ihrer Anwendung unter alles, was sich
itzt begreifen läßt, niedergesunken. Man
trift in Gemählden geistlicher Bücher, in
Bildschnitzereyen, womit Kirchen und Canzeln ausgezieret
waren, eine Schändlichkeit des Innhalts an, die
gegenwärtig an Oertern, wo die wildeste Unzucht
ihren Sitz hat, anstößig seyn müßten.
Aber vermuthlich war dieser Mißbrauch unschädlich,
weil es diesen Mißgeburten der Kunst an allem
ästhetischen Reize fehlte.
Doch brach mitten in dieser Barbarey die Morgenröthe
eines bessern Geschmaks in einigen Zweigen der Künste
hier und da aus. Dieses erhellet aus dem, was über
die Geschichte der Dichtkunst und der Baukunst angemerkt
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