Weil nun aber dieser Abdruck des höchsten Schönen
nothwendig an etwas haften muß, so wählt
die bildende Kraft, durch ihre Individualität
bestimmt, irgend einen sichtbaren, hörbaren, oder
doch der Einbildungskraft faßbaren Gegenstand,
auf den sie den Abglanz des höchsten Schönen
im verjüngenden Maaßstabe überträgt.
[...]
6) Schöpfertum und Rezeption
Da nun aber jene grossen Verhältnisse, in deren
völligem Umfange eben das Schöne liegt,
nicht mehr unter das Gebiet der Denkkraft fallen; so
kann auch der lebendige Begriff von der bildenden
Nachahmung des Schönen, nur im Gefühl der
thätigen Kraft, die es hervorbringt, im ersten
Augenblick der Entstehung statt finden, wo das Werk,
als schon vollendet, durch alle Grade seines allmähligen
Werdens, in dunkler Ahndung, auf einmal vor die Seele
tritt, und in diesem Moment der ersten Erzeugung gleichsam
vor seinem wirklichen Daseyn da ist; wodurch
alsdann auch jener unnennbare Reiz entsteht, welcher
das schaffende Genie zur immerwährenden Bildung
treibt.
Durch unser Nachdenken über die bildende Nachahmung
des Schönen, mit dem reinen Genuß der schönen
Kunstwerke selbst vereint, kann zwar etwas jenem lebendigen
Begriff Näherkommendes in uns entstehn, das den
Genuß der schönen Kunstwerke uns erhöht.
- Allein da unser höchster Genuß des Schönen
dennoch das Werden desselben aus unsrer eignen Kraft
unmöglich mit in sich fassen kann - so bleibt der
einzige höchste Genuß desselben immer dem
schaffenden Genie, das es hervorbringt, selber; und
das Schöne hat daher seinen höchsten Zweck,
in seiner Entstehung, in seinem Werden schon erreicht:
unser Nachgenuß desselben ist nur eine
Folge seines Daseyns - und das bildende Genie
ist daher im grossen Plane der Natur, zuerst um sein
selbst, und dann erst um unsertwillen da; weil es
nun einmal ausser ihm noch Wesen giebt, die selbst nicht
schaffen und bilden, aber doch das Gebildete, wenn es
einmal hervorgebracht ist, mit ihrer Einbildungskraft
umfassen können.
Die Natur des Schönen besteht ja eben darinn, daß
sein innres Wesen ausser den Grenzen der Denkkraft,
in seiner Entstehung, in seinem eignen Werden liegt.
Eben darum, weil die Denkkraft beim Schönen nicht
mehr fragen kann, warum es schön sey? ist es schön.
- Denn es mangelt ja der Denkkraft völlig an einem
Vergleichungspunkte, wornach sie das Schöne
beurtheilen, und betrachten könnte. Was giebt es
noch für einen Vergleichungspunkt für das
ächte Schöne, als den Inbegriff aller harmonischen
Verhältnisse des grossen Ganzen der Natur, die
keine Denkkraft umfassen kann? Alles einzelne hin und
her in der Natur zerstreute Schöne, ist ja nur
in so fern schön, als sich dieser Inbegriff aller
Verhältnisse jenes grossen Ganzen mehr oder
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