ein für sich bestehendes Ganze, in unsre Sinne
fallen, oder von unsrer Einbildungskraft umfaßt
werden könne.
[...]
In so fern aber nun in einem schönen Werke die
mannichfaltigen Beziehungen der einzelnen Theile zum
Ganzen, nicht nur oder nicht sowohl von unserm Verstande
gedacht werden, als vielmehr nur in unsern äussren
Sinn fallen, oder von unsrer Einbildungskraft
umfaßt werden müssen, in so fern schreiben
unsre Empfindungs-Werkzeuge dem Schönen
wieder sein Maaß vor.
Sonst würde freilich der Zusammenhang der ganzen
Natur, welcher zu sich selber, als zu dem größten
uns denkbaren Ganzen, die meisten Beziehungen in sich
faßt, auch für uns das höchste Schöne
seyn, wenn derselbe nur einen Augenblick von unsrer
Einbildungskraft umfaßt werden könnte.
4) Der Künstler schafft wie die Natur
Denn dieser grosse Zusammenhang der Dinge ist doch eigentlich
das einzige, wahre Ganze; jedes einzelne Ganze in ihm,
ist, wegen der unauflößlichen Verkettung
der Dinge, nur eingebildet - aber auch selbst
dies Eingebildete muß sich dennoch, als Ganzes
betrachtet, jenem grossen Ganzen in unsrer Vorstellung
ähnlich, und nach eben den ewigen, festen Regeln
bilden, nach welchen dieses sich von allen Seiten auf
seinen Mittelpunkt stützt, und auf seinem eignen
Daseyn ruht.
Jedes schöne Ganze aus der Hand des bildenden Künstlers,
ist daher im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen
im grossen Ganzen der Natur; welche das noch mittelbar
durch die bildende Hand des Künstlers nacherschafft,
was unmittelbar nicht in ihren grossen Plan gehörte.
Wem also von der Natur selbst, der Sinn für ihre
Schöpfungskraft in sein ganzes Wesen, und das Maaß
des Schönen in Aug' und Seele gedrückt ward,
der begnügt sich nicht, sie anzuschauen; er muß
ihr nachahmen, ihr nachstreben, in ihrer geheimen Werkstatt
sie belauschen, und mit der lodernden Flamm' im Busen
bilden und schaffen, so wie sie: -
[...]
Von dem reellen und vollendeten Schönen also, was
unmittelbar sich selten entwickeln kann, schuf die Natur
doch mittelbar den Wiederschein durch Wesen in
denen sich ihr Bild so lebhaft abdrückte, daß
es sich ihr selber in ihre eigene Schöpfung wieder
entgegenwarf. - Und so brachte sie, durch diesen verdoppelten
Wiederschein sich in sich selber spiegelnd, über
ihrer Realität schwebend und gauckelnd, ein Blendwerk
hervor, das für ein sterbliches Auge noch
reizender, als sie selber ist.
[...]
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