
Francesco Fracanzano (1612-1656)
Mann mit einem Spiegel, 2. Drittel 17. Jh.
Öl/Lw., 113 x 87,5 cm,
London, Derek Johns Ltd.
|
Dieses
Bild widersetzt sich den klassischen Regeln des Porträts.
Denn die dargestellte Person blickt nicht zum Betrachter, sondern
hat sich schräg nach hinten abgewandt. Das Gesicht des
Mannes können wir nicht direkt sehen, sondern nur in dem
Spiegel, den er in seinen Händen hält. Er hat den
Blick gesenkt und scheint in sein Spiegelbild versunken. Ein
spezifischer Gesichtsausdruck ist kaum auszumachen, da ein Schatten
über dem bärtigen Gesicht liegt. Das gesamte Gemälde
ist von dunklen, bräunlichen Farben beherrscht, die dem
Bild eine düster melancholische Grundstimmung verleihen.
Fracanzanos Gemälde ist eine Kopie nach einem verschollenen
Original seines Lehrers Jusepe de Ribera. Bei dem Dargestellten
handelt es sich vermutlich um den Philosophen Sokrates. Dieser
empfahl seinen Schülern den häufigen Blick in den
Spiegel als Mittel zur Selbsterkenntnis. Da im 17. Jahrhundert,
als dieses Bild entstand, der Begriff "Selbsterkenntnis"
vor allem mit dem "Bewußtwerden der eigenen Sündhaftigkeit
und Vergänglichkeit" gleichgesetzt wurde, kann man
den Spiegel hier wohl als Vanitas-Symbol, also als Zeichen der
Vergänglichkeit, deuten. Denn er gibt das Reflektierte
nur für den Augenblick wieder.
Indem der Maler diesen Augenblick der Vergänglichkeit im
Bildnis festhält, kann er sich ihr entgegenstellen und
damit den Spiegel, der dem Naturvorbild im Sinne der Mimesis
so nahe kommt, noch übertreffen. [KM]
|