Quellengruppe 2: Briefe von Karl Schuch an Karl
Hagemeister
Zitiert nach: Carl Schuch 1846-1903,
Ausstellungskatalog Mannheim u. München 1986, wiederum
zitiert nach: Karl Hagemeister: Karl Schuch, in: Kunst
und Künstler 6 (1908), S. 152-159, hier S. 155;
stärker redigiert bei Karl Hagemeister: Karl Schuch.
Sein Leben und seine Werke, Berlin 1913, S. 34-36.
[ohne
Datum]1
Meine früheren Stilleben sind mir alle zu aufdringlich
an Realität, es fehlt Distanz, Luft, die Dämmerung
des Raums, meine Sachen sind alle bis an stärkste
Lokalfarbe getrieben, woraus sich ein Widerspruch ergiebt,
denn die Lokalfarbe ist so genommen, als hätte
man das Objekt unter der Nase und durch Zeichnung und
Perspektive als stünd's doch in der Entfernung.
Der Ton deutet letzteres auch an, aber die Lokalfarbe
widerspricht und ist zu hart, zu laut. Was ist denn
der Ton als die Modifikation, die die Lokalfarbe erleidet
durch die zweifache Bedingung des Lichts und der Entfernung?
und doch Ton mit ganzer Kraft? ein ganzer Unsinn, selbst
im Atlier - denn diese Bedingungen sind immer da. Absolutes
Licht und absolutes Dunkel ist der äusserste Ton,
und beides vernichtet die Lokalfarbe und die Plastik.
Daraus geht als logischer Schluss hervor: dass wer in
voller Kraft und Plausibilität malen will, notwendig
den Ton ausschließt und umgekehrt: wer Ton malen
will, notwendig die Plastik und Lokalfarbe unterordnen
muss. Ich denke, das ist klar; sollte aber meine Logik
und Empfindung falsch sein, so will ich doch lieber
mit Leibl, Trübner und den Alten irren als mit
der neupreussischen Kunst und mit Gussow. Wollen die
Leute blos den plausiblen Schein der Natur malen, so
sehe ich den Zweck ihres Malens nicht ein - ich begreife
nicht, warum ich mir dann lieber nicht die Natur selbst
ansehe - darin lässt sich ja diese doch nicht erreichen
und wenn, so wäre gar kein Unterschied mehr zwischen
Bild und Vorbild, zwischen Kunst und Natur und mir bliebe
weiter nichts zu bewundern übrig als die Fertigkeit
des Nachbildners; und das sollte Kunst sein und der
Maler ein Künstler? Nein, hier handelt es sich
um etwas Anderes: um das Begreifen der Natur und das
Wiedergeben ihrer geistigen Wahrheiten, um das "Warum"
der Erscheinung, das Hervorheben ihrer Gesetzlichkeit,
und so sind Trübner, Leibl, Daubigny usw. Künstler,
wenn sie die Eigenschaften des Lichts und des Tons studieren,
und ein Gussow trotz aller Fertigkeit und Geschicklichkeit
ein Affe der Natur. Für diese Art, das Hervorheben,
Hervorsuchen der Gesetzlichkeit in den Erscheinungen,
wird man aber keine Maschine erfinden, das wird immer
der Geist besorgen müssen und zwar der künstlerische
Geist. Einerlei Licht und Luft ist der Ton, aber nicht
einerlei Farbe wie bei Vollon, diesem gechickten Lügner
in Asphalt, und die Bedeutung des Tons ist die, dass
er den Dingen das Materielle nimmt und nur die ätherische
Essenz der Erscheinung festhält.
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