erhalten hat - noch die bekanntlich in dieser Affaire
von den Kämpfenden an den Tag gelegte beispiellose
Wuth in Angriff und Vertheidigung deutlich ins Auge
springen.*1 Es ist zwar möglich, daß in der
Wirklichkeit dieses Ereigniß eine Scene darbot,
wie die vom Künstler geschilderte, aber darauf
kommt es nicht an. Die Kunst hat ihre eigenen Gesetze
und nur zu oft vermag der Künstler der poetischen
Wahrheit dadurch nahe zu kommen, daß er die thatsächliche
verläßt. Darin besteht eben der Unterschied
zwischen Prosa und Poesie, Realismus und Idealismus,
und über der Verkennung dieses Unterschiedes ist
dem berühmten Künstler sein beabsichtigtes
Geschichtsbild in ein Genrebild umgeschlagen. Als solches
besitzt es zwar eine Fülle von bewundernswürdigen
Schönheiten, ist reich an Geist und so leben- und
charaktervoll, wie außer Menzel vielleicht nur
wenigen seiner Zeitgenossen es gelingen möchte;
aber die Auffassung steht mit dem gewählten großen
Maßstabe der Ausführung nicht in dem richtigen
Verhältnisse. Demungeachtet hat man das Bild hier
mit dem lebhaftesten Interesse gesehen und sich der
Gelegenheit gefreut, ein Werk des von allen Parteien
hochgeschätzten Künstlers - das erste, welches
hierher gekommen - bewundern zu können.
Oppermann 1859: Menzels "Friedrich und die Seinen
bei Hochkirch" II
Andreas Oppermann: Nach
der historischen Kunstausstellung, in: Anregungen für
Kunst, Leben und Wissenschaft, Jg. 4 (Leipzig 1859),
S. 67.
Menzel hat den unbestreitbaren Vorzug vor allen anderen
Naturalisten, den der Originalität. Wie sich ihm
die Wirklichkeit bietet, so malt und zeichnet er sie
treffend nach, treffender, als irgend Einer, er kennt
kein anderes Muster, als sie. Die Hand ist stets mit
dem Auge in gleichem Schritt, daher die geradezu fabelhafte
Lebendigkeit, die erstaunliche Keckheit, mit der er
allen Dingen gleichsam auf den Leib rückt; dazu
besitzt Menzel eine gründliche Kenntnis der Zeit
Friedrichs des Großen [...] Menzel hat alle erdenkliche
Dinge in der Natur dargestellt, oder besser in seiner
ihm eigenthümlichen Weise auf Papier oder Leinwand
nachgeahmt, denn Darstellung ist nur durch ein geistiges
Medium möglich, während bei Menzel sich die
Dinge im Auge, und von da unmittelbar und direct auf
der Leinwand abspiegeln. Bei solchen Eigenschaften kann
es nicht fehlen, daß Menzel wahr ist, wahr oft
bis zum Exceß. Das hebt ihn hoch über die
anderen Naturalisten, die mehr der Wirkung zuliebe arbeiten.
Auf der anderen Seite fehlt aber, und das haben wir
zur Genüge bei dem ausgestellten "Ueberfall
bei Hochkirch" sehen können, den Menzel'schen
Bildern der einheitliche Totaleindruck. Es geht ihm
|