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Quelle 2: Max Schasler: Über Idealismus und Realismus in der Historienmalerei

Die Dioskuren, Jg. 3, Nr. 40/41 (15. August/1. September 1858), S. 143f, 146, zitiert nach: Werner Busch/Wolfgang Beyrodt (Hrsg.): Kunsttheorie und Malerei. Kunstwissenschaft (Kunsttheorie und Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Texte und Dokumente Bd. 1), Stuttgart 1982, S. 226-232.

In der Kunst ist es fast durchgängig der Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus, welcher in ihrem eigensten Wesen begründet und daher berechtigt, doch zugleich nach der einen oder ändern Seite hin den Abweg von der Wahrheit bestimmt. Ein solcher Fall nämlich tritt immer dann ein, wenn einer der beiden das künstlerische Produkt bildenden Faktoren, entweder der ideelle Inhalt oder die reale Form, für sich allein zur Geltung zu kommen sucht und demzufolge den ändern Faktor zu einem untergeordneten Moment herabsetzt, ja wohl gänzlich zu unterdrücken versucht. Wenn nun zwar letzteres auch nicht möglich ist, so führt doch solche, dem wahren Zweck der Kunst widerstrebende Überhebung des einen über das andere Element notwendig zu einer Verrückung ihres wahren und richtigen Verhältnisses, ja zu einer Zerreißung jener Harmonie zwischen Inhalt und Form, welche allein das wahre Wesen der künstlerischen Schönheit ausmacht. Wir sagen "Harmonie", nicht Gleichheit, denn die Harmonie beruht keineswegs auf einer quantitativen Gleichstellung der beiden Faktoren, sondern in ihrer qualitativen Verhältnismäßigkeit. Es kommt dabei also gänzlich auf den Gegenstand der Darstellung an, ob das eine oder andere Moment, das ideelle oder das formelle, darin die Hauptrolle zu spielen habe. Im ersteren Falle wird sich in der Darstellung ein mehr idealistischer Charakter, im zweiten ein mehr realistischer ausprägen. Nur wenn die Unterordnung des einen unter das andere Element bis zu einer einseitigen und darum unberechtigten Abstraktion fortgeht, entsteht jene Differenz zweier extremen Richtungen, in denen der berechtigte Idealismus zum abstrakten Spiritualismus, der berechtigte Realismus zum abstrakten Materialismus wird. [...] Die ganze Wahrheit aber ist einzig und allein die, daß jede Kunstrichtung wie jedes einzelne Kunstwerk vor allem die Einheit von Natur und Ideal zur Erscheinung zu bringen habe und daß allein die graduelle Erreichung dieser Einheit den Maßstab für den künstlerischen Wert abgebe.
[...]
Wenn wir die allgemeine Begriffsbestimmung auf eine einzelne Kunstsphäre, z. B. auf die Historienmalerei anwenden, so steht diese zwischen der Philosophie der Geschichte und der geschichtlichen Chronik in der Mitte. Von jener entbehrt sie den Gedanken, von dieser die Gestaltung. Während die philosophische Betrachtungsweise der Geschichte auf die dramatische Entwickelung der Weltbegebenheiten keine Rücksicht

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