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Quelle 5: Ferdinand Georg Waldmüller: Über die Nachahmung

Aus: Ferdinand Georg Waldmüller: Das Bedürfnis eines zweckmässigeren Unterrichts in der Malerei und plastischen Kunst, 1846, zitiert nach: Ferdinand Georg Waldmüller. Gemälde aus der Sammlung Georg Schäfer Schweinfurt, Ausstellungskatalog Schweinfurt u. a. 1978/79, S. 21.

Wir leben gegenwärtig in einer Periode, in welcher das Kunstwirken sich nach den Forderungen der Zeit zu regenerieren strebt. Dass sich ein solches Streben kundgibt, zeigt das Bedürfnis desselben an. In physischer und moralischer Hinsicht, im Individuum wie im großen Ganzen ist das Bestreben, krankhafte Stoffe auszustoßen, um kräftige Gesundheit zu erlangen, von der Natur geboten. Die Anwendung auf den gegenwärtigen Fall ergibt sich von selbst. - In Imitation und Plagiat suchte man ein Kunststreben zu entwickeln; vergebliche Mühe! Durch todte Nachahmung der Antike kann bei uns kein Kunstleben erweckt werden, kein Kunstleben, das grosse All des irdisch Sichtbaren, und selbst das Reich des Oberirdischen erfassend. - Die Vorzüge der Antike werden nicht ohne belehrenden Einfluß auf den Künstler bleiben, wenn er sie versteht. Sie soll ihn die Natur sehen und fühlen lernen in dem Geiste, wie die unsterblichen Alten sie sahen und fühlten, aber die Eigenthümlichkeit griechischer Kunst kann nie jene unserer Zeit werden. Dasselbe ist der Fall mit der mittelalterlichen Darstellungsweise.
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Überall ist es nur der Geist, welcher aufgefasst werden soll, und überall ist es nur die Form, welcher man nachstrebt; die uns umgebende Natur, unsere Zeit, unsere Sitte ist es, welche wir in unsern Kunstschöpfungen zur Anschauung bringen müssen. Wer die Natur gehörig anzuschauen und zu begreifen gelernt hat, wird ihren Ausdruck auch im historischen Bilde zweckmässig geben können, denn ihre Wahrheit ist unveränderlich dieselbe. Und doch ging die Verirrung so weit, daß wir nahe daran waren, das Anschauen der Natur nicht nur nicht empfohlen, sondern verpönt zu sehen. Die Zeit liegt noch nicht ferne hinter uns, in welcher die ideale Landschaft als das Höchste galt, höher als jede dem Urbilde selbst abgelauschte Nachbildung. Bis auf welchen Grad dieser Kunstzweig in solcher Richtung verfiel, davon ist das gegenwärtige Geschlecht noch Zeuge geworden.
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Das Studium des menschlichen Körpers kann und soll ausschließend nur nach der Natur begonnen und vollendet werden. Jede Art des Kopirens, es sey nun nach Vorlegblättern, nach der Antike, oder nach Gemälden, ist durchaus ungenügend, ja in den meisten Fällen sogar von nachtheiligem Einflüsse. Es ist nämlich eine der

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