Quelle 4: Gottfried Keller: Aus dem Roman "Der
Grüne Heinrich"
Zitiert nach: Gottfried Keller: Sämtliche
Werke und ausgewählte Briefe, Bd. 1, München
1956, S. 268f.
Gleich am ersten Tage nach meiner Ankunft stellte mir
der Oheim, um mich wieder auf eine reale Bahn zu leiten,
die Aufgabe, seine Besitzung, Haus, Garten und Bäume,
genau und bedächtig zu zeichnen und ein getreues
Bild davon zu entwerfen. Er machte mich aufmerksam auf
alle Eigentümlichkeiten und auf das, was er besonders
hervorgehoben wünschte, und wenn seine Andeutungen
auch eher dem Bedürfnisse eines rüstigen Besitzers
als denjenigen eines Kunstverständigen entsprachen,
so ward ich doch dadurch genötigt, die Gegenstände
wieder einmal genau anzusehen und in allen ihren eigentümlichen
Oberflächen zu verfolgen. Die allereinfachsten
Dinge am Hause selbst, sogar die Ziegel auf dem Dache,
gaben mir nun wieder mehr zu schaffen, als ich je gedacht
hatte, und veranlaßten mich, auch die umstehenden
Bäume in gleicher Weise gewissenhafter zu zeichnen;
ich lernte die aufrichtige Arbeit und Mühe wieder
kennen, und indem darüber eine Arbeit entstand,
die mich in ihrer anspruchlosen Durchgeführtheit
selbst unendlich mehr befriedigte als die marktschreierischen
Produkte der jüngsten Zeit, erwarb ich mir mit
saurer Mühe den Sinn des Schlichten, aber Wahren.
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