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ungeheure Quantitäten von Farbe, welche mit großen Borstpinseln halb fingersdick aufgesetzt wurde. Stets malten sie aus einer gewissen Entfernung, um nur einen Totaleffekt, oder wie wir sagten einen Knalleffekt zu erreichen. Sie verbrauchten natürlich sehr (S. 177:) viel Maltuch und Malpapier, denn es wurde fast nur gemalt, selten gezeichnet; wir dagegen hielten es mehr mit dem Zeichnen als mit dem Malen. Der Bleistift konnte nicht hart, nicht spitz genug sein, um die Umrisse bis ins feinste Detail fest und bestimmt zu umziehen. Gebückt saß ein jeder vor seinem Malkasten, der nicht größer war als ein kleiner Papierbogen, und suchte mit fast minutiösem Fleiß auszuführen, was er vor sich sah. Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen. Luft- und Lichteffekte wurden eher gemieden als gesucht; kurz, ein jeder war bemüht, den Gegenstand möglichst objektiv, treu wie im Spiegel, wiederzugeben.
Wie wenig das aber dennoch gelingen wollte, erfuhr ich gerade hier in Tivoli recht auffallend. Wir saßen einst unserer vier auf einem schmalen Felsvorsprung eng nebeneinander, der großen Kaskade des Anio gegenüber. Jeder befleißigte sich der möglichsten Treue in der Wiedergabe des Gegenstandes, und deshalb war ich nicht wenig überrascht, als ich, am Schluß der Arbeit aufgestanden, die vier vor mir liegenden Bilder überblicken konnte und sie so abweichend voneinander fand. In der Stimmung, in Farbe, im Charakter der Kontur war bei jedem etwas anderes hineingekommen, eine leise Umwandlung zu spüren. Ich merkte, daß unsere Augenpaare wohl das gleiche gesehen, aber das Gesehene in eines jeden Innerem je nach seiner Individualität sich umgestaltet hatte. Am stärksten trat es bei einem Melancholikus hervor. Bei ihm waren die bewegten Umrisse der Busch- und Felsmassen ruhiger und geradliniger, die heitere Farbe der goldig bräunlichen Felsen bleicher und trüber geworden; dagegen machte sich ein nächtliches Violett in den Schatten sehr geltend, welche in der Natur doch so klar und farbig erschienen. Kurz, des Menschen Art offenbarte sich ganz entschieden in seiner Malerei, und so (S. 178:) war es bei einem jeden. Ich will dabei nicht verhehlen, daß mir das eigene Opus zwar unsicher, tastend, suchend, nachfühlend, aber gegen die drei anderen am objektivsten und treuesten erschien.
Nun war diese Erfahrung, daß ein jeder die Natur anders ansieht oder vielmehr anders reproduziert, durchaus nichts Neues; aber ich hatte es noch nie so tief empfunden, so augenscheinlich gesehen, daß die Kunst nur der beseelte Widerschein der Natur aus dem Spiegel der Seele sei, und daß deshalb eine gesunde und reine Entwickelung der Sinnes- und Denkweise, die Ausgestaltung des inneren Menschen, auch in Beziehung auf die Kunst von größter Bedeutung sein müsse. Goethe ruft den jungen Künstlern zu: "Denkt gut, so werdet ihr etwas Rechtes schaffen!"
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