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Ingres, Le Vœu de Louis XIII, 1824


Ingres und Delacroix

Ingres und Delacroix wurden in ihrer Zeit als die Antipoden in der Malerei gesehen. Diese antagonistische Sichtweise haben sie nicht selbst begründet, sondern ihre jeweiligen Anhänger. Sie wurden zu Protagonisten in einem kunsttheoretischen Streit erhoben, der seit der Renaissance ausgetragen wurde. Es ging um die Bedeutung bzw. Leistung der Linie und der Farbe in der Malerei. Im 16. Jahrhundert stritten die Italiener um die Vorzüge der vom "disegno" bestimmten florentinischen und der vom "colore" beherrschten venezianischen Malerei. Ein Jahrhundert später wurde der Streit in Frankreich erneut geführt, als Poussin (siehe Lektion 1) (Bild), der Vertreter der "ligne", gegen Peter Paul Rubens (1577-1640) (Bild), den Anhänger des "coloris", ausgespielt wurde. Mit der Wiederentdeckung von Rubens durch Gros und Delacroix ging die Auseinandersetzung im 19. Jahrhundert gewissermaßen in eine dritte Runde. Ingres galt als das Haupt der "école classique", während Delacroix der "école romantique" vorstand. Klassizismus und Romantik sollten jedoch nicht mit den Begriffen "konservativ"

und "modern" verbunden werden, auch wenn uns Heutige Delacroix mit seiner ungeglätteten Bildsprache näherzuliegen scheint. In der Sichtweise der von uns betrachteten Jahre waren die Erben von David die Vertreter der "école moderne", und die extremen Stilisierungen, die Ingres beispielsweise bei seinen Portraits vornahm, haben noch Picasso in höchstem Maße fasziniert.

Nach dem in dieser Lektion betrachteten Zeitraum kam es bei Delacroix zu weiteren künstlerischen Entwicklungen. So unternahm er 1831/32 eine sechsmonatige Marokko- und Spanienreise, auf der er die farbenprächtige Welt des Orients entdeckte. Seither übersetzte er die Wirklichkeit in rein farbliche Phänomene (Bild). Ingres ging 1834 wieder für viele Jahre nach Rom, diesmal als Direktor der Académie de France. Ihre Gegensätzlichkeit spielte im Laufe der Jahre keine große Rolle mehr: Auf der Pariser Weltausstellung 1855 wurde beiden gemeinsam eine große Ausstellung ausgerichtet, die sie als Dioskuren der zeitgenössischen Malerei feierte. Übrigens blieb im Rahmen der Weltausstellung ein Maler weitgehend unbeachtet: Gustave Courbet (1819-1877) (Bild), der Hauptvertreter des Realismus.

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