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Brief VIII
[...]
[...] Mit wenig Worten also! was an der gegenwärtigen Art, Landschaftsmalerei zu studieren, vorzüglich auszusetzen wäre, ist einesteils das zeitige Einlernen einer gewissen Manier, und zwar durch stetes Kopieren der landschaftlichen Zeichnungen und Gemälde anderer Künstler, andernteils die mangelhafte und unzulängliche Art, die Natur selbst zu betrachten, zu fassen. [...] [W]er sich gewöhnt, die Natur nur durch fremde Gläser zu betrachten, dem wird sie nie in ihrem eigensten Gewände erscheinen, und am wenigsten wird sie ihm den Schleier lüften, daß er eindringe in ihre Geheimnisse. [...] Und doch, wenn nun vom Lehren, vom Studium im Naturerkennen die Rede ist, so ist nur ein Weg offen, auf dem auch der minder reich Begabte, auch der, dem nicht die höchste Fülle eigentümlicher Produktivität zuteil ward, den jedoch nicht minder innige Liebe zur Natur und Sehnsucht, sie künstlerisch zu erfassen, durchdringt, zu ihrem Urquell aufsteigen kann, und dieser Weg heißt - Wissenschaft. [...]
[...]
[...] Auf zweifache Weise aber soll das Auge die Natur recht erfassen, einmal soll es die Formen der Naturdinge nicht als ein willkürliches, unbestimmtes, gesetzloses und deshalb sinnloses, sondern als ein durch göttliches Urleben bestimmtes, ewig gesetzmäßiges und höchst sinnvolles auffassen lernen; ein anderes Mal aber soll es zugleich die Verschiedenheit der Substanz in den Naturdingen gewahr werden, den Unterschied merken, den eine und dieselbe Form, wenn sie von verschiedenen Substanzen erfüllt wird, in ihrer Gesamterscheinung darbietet, und die Verbindung, die Beziehung gewahr werden, welche zwischen den einzelnen Substanzverschiedenheiten und gewissen Formen besteht. [...] Dem rohern Sinne nämlich erscheint in der Naturbetrachtung nur zu vieles als willkürlich, als zufällig, als gesetzlos, denn er ist selbst noch außer dem Gesetz und eben darum um so befangener. [...] Dergleichen Rohigkeit begleitet dann wohl den Künstler sein ganzes Leben hindurch, wenn nicht eine kräftig und schön aufstrebende Seele ihn dagegen schützt oder eingreifende Wissenschaft ihn erweckt. Daher die Gleichgültigkeit, um nicht zu sagen Gewissenlosigkeit, mit welcher so viele Landschaftsmaler in ihren Darstellungen verfahren; sie haben keinen Begriff davon, wie unheilig, wie nichtswürdig sie die Natur behandeln, denn die Ahnung des göttlichen Lebens in der Natur ist ihnen nicht aufgegangen, ja mit wachsender Routine und sonstiger Kräftigkeit des Menschen verbunden, steigt diese Mißachtung zur wahren Frechheit, davon oft bei gerühmten Künstlern die auffallendsten Beispiele sich finden. [...]
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