Quelle 6: Ferdinand Georg Waldmüller: Über
die Natur
Waldmüller: Andeutungen
zur Belebung der vaterländischen bildenden Kunst,
Wien 1857.
S. 27: [...] Auch ihm fehlte, wie seinen Collegen, die
Erkenntniss, dass es vergebens sei, jemanden, ehe er
die Natur kennen lernte, gezeichnete oder (S. 28:) gemalte
Formen deutlich und begreiflich zum Verständniss
zu bringen.
Die Natur allein, die lebende, bewegliche, in der Form
bei jeder Bewegung veränderte, ermöglicht
dieses Verständniss. Nur in ihrem Studium kann
es erlangt werden, nie durch Vorlegblätter oder
Gemälde, und wären sie von den ersten Meistern
gemalt. Nur das Leben erzeugt Leben, nur die Natur,
die Gott geschaffen, nicht das Gebild der Menschenhand,
die sie nachahmte, weckt den Geist der Kunst zur selbstschaffenden
That. Im Gemachten lernt eich nur Gemachtes. Der ganze
Apparat der Akademie, der ganze Kram von materiellen
und sogenannten wissenschaftlichen Hilfsmitteln ist
nicht im Stande eine künstlerische Idee zu wecken,
er dient zu nichts, als die Begriffe zu verwirren. Es
mag hart klingen, aber es muss ausgesprochen werden,
dass das Resultat eines so gestalteten Unterrichtes
kein anderes ist und sein kann, als die bittere Erfahrung
, dass man die Akademie besuchen musste, um die Natur
durch Vorlegblätter, Gemälde und Skulpturen
erst kennen zu lernen, wie sie nicht ist, um später,
wenn man sie wirklich im Leben studirt, sich schämen
zu lernen ob der Verblendung, sie auf einem so erbärmlichen
Umweg zu suchen, [...].
S. 29: [...] Ueberdiess hört er noch von den Lehrern,
die jene Nichtigkeit des Unterrichts beschönigen
sollenden Aussprüche: Die Natur sei gemein, man
müsse sie veredeln und dergleichen. Allerdings
springt die Albernheit solcher Redensarten dem Tieferblickenden
in die Augen. Die Aufgabe jeder Kunstleistung ist nie
und nirgends anders zu lösen, als auf dem Wege
der Wahrheit. Die Natur aber ist die ewige Wahrheit;
in ihren Erscheinungen, in ihren Formen ist nichts gemein.
Die Handlungen der Menschen sind manchmal gemein, die
Formen, die ihnen die Natur verlieh, sind es nie. Dass
eine wahrhaft künstlerische Idee nicht von gemeinen
Motiven berührt werden wird, dafür bürgt
der Geist der Kunst, an dem eben nichts Gemeines haften
kann, seiner eigenen reinen Natur wegen. [...]
S. 35: [...] Es gibt keinen Styl in der Kunst, sondern
nur eine Darstellung der Natur, die ewig wechselnd in
ihren Erscheinungen, in allen Darstellungen derselben
auch im Geiste der Unabhängigkeit allein richtig
aufgefasst werden kann. Die Aufgabe des wahren Meisters
in seiner Schule kann also keine andere sein, als dem
Schüler dieses Verständniss zu eröffnen,
und es sodann seiner Inspiration zu überlassen,
dieses Verständniss zu benützen und in völliger
Freiheit zu wirken. [...]
|