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Bornet, Portrait de Diderot, 1763


Die Entstehung des ästhetischen Bildes im Salon

Eingeleitet wurde die Wende in der Kunstpolitik durch eine heftige Kritik an der Gegenwartskunst. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts hat sich die Kunstkritik als literarische Disziplin in einem öffentlich gewordenen Kunstbetrieb etabliert. Als ihr Begründer gilt La Font de Saint-Yenne (1688-1771), als ihr Meister Denis Diderot (1713-1784). Die Überlegungen der Kritiker zielten nicht allein auf den Darstellungsinhalt, sondern auch auf die Wirkungsmechanismen eines Bildes. Im Wechselspiel von Kritik und Kunstpraxis haben sich nämlich im Salon Bilder etabliert, die in ihrer Bildwirkung auf das Salonpublikum und damit auf ihren Ausstellungswert ausgerichtet waren. Die Salonbilder waren aus dem Kontext eines genauen Bestimmungsortes gelöst und erschienen dem Publikum als Einzelbild. So wurde nicht mehr der didaktische Wert eines Bildes zum Maßstab der Beurteilung, sondern sein ästhetischer.

Die Sehgewohnheiten, die im Salon entwickelt wurden, waren der Historienmalerei nicht förderlich. Dem Publikum waren die

Bildinhalte oftmals wenig bekannt, insbesondere bei Themen der nationalen Vergangenheit, die noch nicht durch eine lange Tradition eingeführt waren. Das livret des Salons mußte dem Publikum bisher nicht Dargestelltes verständlich machen. Diese Hilfestellung ermöglichte es jedoch, daß der Inhalt gesondert von der künstlerischen Qualität – und damit der ästhetischen Erscheinung – wahrgenommen werden konnte. Das autonome Bild verlangte den Genuß des Formenspiels, nicht die Identifizierung der literarischen Vorlage. Da der Tugendsuite von 1777 keine Erklärungen beigefügt waren, hat sie das Publikum nicht verstanden. Damit dies möglich wurde, mußte ein Historienbild individuell nachvollziehbar sein. Diese Tendenz mündete ein in die Anekdotisierung, die das Dargestellte zu den Erfahrungen der Rezipienten in Beziehung zu setzen vermochte. Dieser Prozeß hatte für das 18. Jahrhundert einschneidende Konsequenzen: Das Historienbild wurde Gegenstand der Meditation des Betrachters, der eine private Perspektive auf das Dargestellte gewann. Man unterschied beim Protagonisten zwischen seiner öffentlichen Rolle und seinem eigentlichen Wesen als Mensch.

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