Eine neue Malweise: Edouard Manet
Zitiert nach: Emile Zola: Die Salons von 1866-1896, Weinheim 1994, S.
47-75.
Vorwort
[...]
Den denkwürdigen Fall, um den es geht, möchte ich in kurzen
Worten schildern. Ein junger Maler ist ganz naiv seiner persönlichen
Art zu sehen und zu verstehen gefolgt. Er hat anders gemalt als die heiligen
Regeln der Kunstschulen es vorschreiben. Auf diese Weise hat er ganz eigene
Werke von herbem, starkem Charakter geschaffen, die die Augen der andere
Blicke gewohnten Menschen beleidigt haben. Und daraufhin haben die Menschen,
ohne sich erklären zu wollen, warum ihre Augen beleidigt waren, den
jungen Maler beschimpft, haben seine Aufrichtigkeit und Begabung geschmäht
und so etwas wie einen lächerlichen Hampelmann aus ihm gemacht, der
die Zunge herausstreckt, um die Gaffenden zu belustigen.
[...]
I. Der Mensch und der Künstler
[...] Als er mit siebzehn Jahren vom Gymnasium abging, verliebte er sich
in die Malerei. Eine furchtbare Liebe! Eltern tolerieren eine Geliebte
und sogar zwei. Sie verschließen, wenn nötig, die Augen vor
der Schamlosigkeit des Herzens und der Sinne. Aber die Kunst, die Malerei
ist für sie die Große Unreine, die stets nach frischem Fleisch
hungernde Kurtisane, die das Blut ihrer Kinder trinken und die Zuckenden
an ihren unersättlichen Busen drücken wird. Das ist die Orgie,
die gnadenlose Ausschweifung, das blutrünstige Schreckgespenst, das
mitunter in den Familien auftaucht und den häuslichen Frieden stört.
[...]
Edouard Manet ist mittelgroß, eher klein als groß. Haar und
Bart sind hellbraun. Die tiefliegenden schmalen Augen werden von einem
jugendlichen Feuer belebt. Charakteristisch ist der kleine, bewegliche,
in den Winkeln etwas spöttische Mund. Von feiner, intelligenter Unregelmäßigkeit,
verrät das ganze Gesicht Flexibilität und Kühnheit, Verachtung
des Dummen und Banalen. Und wenn wir vom Gesicht zur ganzen Person kommen,
können wir sagen, daß Edouard Manet ein ausgesucht liebenswürdiger,
höflicher Mann von vornehmem Verhalten und sympathischem Aussehen
ist.
Ich muß auf diesen unendlichen kleinen Einzelheiten herumreiten.
Die derzeitigen Spaßvögel, jene, die ihren Lebensunterhalt
damit verdienen, das Publikum zum Lachen zu bringen, haben aus Edouard
Manet eine Art Bohemien, einen Spitzbuben, einen lächerlichen Bürgerschreck
gemacht. Und das Publikum hat die Scherze und Karikaturen für wahr
gehalten. Die Wahrheit deckt sich nicht mit den von den bezahlten Spöttern
erfundenen Phantasiehampelmännern, und es ist gut, die wirkliche
Person zu zeigen.
Ich hebe also diskret den Schleier über dem Privatleben. Edouard
Manet ist, im besten Sinne des Wortes, ein Mann von Welt. Vor drei Jahren
hat er eine junge Holländerin, eine hochbegabte Musikerin geheiratet
und lebt im Familienschoß, tief in einer glücklichen Wüste,
wo die Schreie der Menge nicht immer zu ihm dringen. Dort ruht er sich,
von Zuneigung umgeben und die kleinen Freuden des Lebens genießend,
aus, denn der Himmel hat es gut mit ihm gemeint und hat diesen Paria nicht
der Annehmlichkeiten eines Vermögens berauben wollen; der Künstler
ist reich genug, um seine Rolle als Leprakranker anzunehmen und seinen
Überzeugungen entsprechend zu arbeiten, ohne den Ratschlägen
der Kunsthändler nachzukommen.
Er hat mir gestanden, daß er die Welt liebt und sich mit geheimer
Wonne an der duftenden, leuchtenden Zartheit der Abende ergötzt.
Dazu verführt wird er zweifellos von seiner Liebe zu üppigen,
grellen Farben, doch es ist auch ein angeborenes Bedürfnis nach Vornehmheit
und Eleganz in ihm, das ich mir angelegen sein lasse, in seinen Werken
wiederzufinden.
So sieht sein Leben aus. Er arbeitet hart und hat schon eine beträchtliche
Anzahl von Werken geschaffen. Er malt unermüdlich und ohne sich entmutigen
zu lassen, folgt geradlinig seiner Natur. Dann begibt er sich in seine
Wohnung und genießt die stillen Freuden des modernen Bürgertums.
Er hält lebhaften Kontakt zur Welt, er führt ein Leben wie jedermann,
mit dem Unterschied, daß er vielleicht noch friedlicher und wohlerzogener
ist als jedermann.
[...]
[...] Die Liste wäre lang, wenn ich hier all jene nennen würde,
die von ihren Meistern entmutigt wurden und später hervorragende
Männer wurden. "Sie werden nie etwas zustande bringen",
sagt der Lehrer, was zweifellos heißen soll: "Außer mir
ist kein Heil, und Sie sind nicht ich." Glücklich zu preisen
sind jene, die von ihren Meistern nicht als ihre Kinder anerkannt werden;
sie sind eine besondere Rasse und tragen ihr Wort zu dem großen
Satz bei, den die Menschheit schreibt und der nie vollständig sein
wird. Ihr Schicksal ist es, ihrerseits Meister, Egoisten, scharf umrissene
Persönlichkeiten zu werden.
Nach der Vermittlung von Regeln, die seiner Natur widersprachen, versuchte
Edouard Manet also eigene Wege, ein eigenständiges Sehen zu finden.
Drei Jahre lang wirkten die eingesteckten Schläge mit der Zuchtrute
schmerzhaft in ihm nach. Er hatte seinen Beitrag, das neue Wort gewissermaßen
auf der Zunge und konnte es nicht aussprechen. Dann wurden seine Augen
klar, er erkannte die Dinge in aller Deutlichkeit, seine Zunge war nicht
mehr gebunden, und er sprach.
Er sprach eine Sprache voller Härte und Anmut, die das Publikum heftig
abschreckte. Ich behaupte keineswegs, daß es eine völlig neue
Sprache war und daß sie nicht einige spanische Elemente enthielt,
mit denen ich mich übrigens auseinandersetzen werde. An der Kühnheit
und Wahrhaftigkeit mancher Bilder war jedoch unschwer zu erkennen, daß
uns ein Künstler geboren war. Er sprach eine Sprache, die er zu der
seinen gemacht hatte und die ihm von nun an persönlich gehörte.
So erkläre ich mir die Geburt eines jeden wirklichen Künstlers,
die von Edouard Manet zu Beispiel. Als er merkte, daß er nicht weiterkam,
wenn er die Meister kopierte, wenn er die Natur aus einer ihm fremden
Sicht malte, wird er begriffen haben, daß er nur zu versuchen brauchte,
die Natur so zu sehen, wie sie ist, ohne sie durch die Werke und Meinungen
anderer zu betrachten. Sobald ihm dieser Gedanke gekommen war, nahm er
sich einen beliebigen Gegenstand vor, ein Lebewesen oder ein Ding, stellte
es in eine Ecke seines Ateliers und machte sich daran, es seiner Sicht
und seinem Verständnis entsprechend auf einer Leinwand wiederzugeben.
Er bemühte sich, alles zu vergessen, was er in den Museen studiert
hatte; er versuchte, weder an die Ratschläge, die er bekommen, noch
an die gemalten Werke, die er gesehen hatte, zu denken. Er war nur noch
eine bestimmte Intelligenz, die mit Hilfe dazu geeigneter Organe der Natur
gegenüberstand und diese auf ihre Weise umsetzte.
So erzielte der Künstler ein Werk, das von seinem eigenen Fleisch
und Blut war. Gewiß war dieses Werk mit der großen Familie
der Menschenwerke verwandt, es hatte Geschwister unter den Tausenden bereits
erschaffenen Werken und ähnelte manchen von ihnen mehr oder weniger.
Aber es war von ganz eigener Schönheit, will sagen von einem individuellen
Leben belebt. [...]
[...]
Die Auffassung der Masse von der Kunst, insbesondere von der Malerei ist,
daß es das absolute Schöne gibt, das außerhalb des Künstlers
angesiedelt ist, oder besser gesagt eine ideale Vollkommenheit, nach der
jeder strebt und die jeder mehr oder weniger erreicht. Infolgedessen gibt
es ein allgemeingültiges Maß, nämlich dieses Schöne.
Dieses allgemeingültige Maß wird an jedes erschaffene Werk
angelegt, und je nachdem wie weit das Werk sich ihm annähert oder
davon abweicht, wird es für mehr oder weniger gelungen erklärt.
Es hat sich so ergeben, daß man das griechische Schöne als
Eichmaß gewählt hat, und die über sämtliche von der
Menschheit erschaffenen Kunstwerke gefällten Urteile beruhen auf
der mehr oder weniger großen Ähnlichkeit dieser Werke mit den
griechischen Werken.
So gesehen ist die umfangreiche Produktion des ständig gebärenden
menschlichen Geistes auf die bloße Entfaltung des griechischen Geistes
eingeschränkt. Die Künstler jenes Landes haben das absolute
Schöne gefunden, und von da an war alles gesagt, das allgemeingültige
Maß war festgelegt, es ging nur noch darum, die Vorbilder so genau
wie möglich zu imitieren und zu reproduzieren. Und es gibt Leute,
die einem beweisen, daß die Künstler der Renaissance nur bedeutend
waren, weil sie Imitatoren waren. Seit mehr als zweitausend Jahren wandelt
sich die Welt, steigen Zivilisationen auf und gehen unter, entwickeln
sich Gesellschaften rasend schnell oder siechen dahin, begleitet von ständig
sich verändernden Sitten. Und auf der anderen Seite werden hier und
dort Künstler geboren, an den blassen, kalten Vormittagen Hollands,
an den sinnlichen, heißen Abenden Italiens und Spaniens. Was macht
das schon! Das absolut Schöne ist da, überragt unwandelbar die
Zeitalter. An ihm zerschellen auf klägliche Weise all diese Leben,
all diese Leidenschaften und Phantasien, die in den mehr als zweitausend
Jahren sich gefreut und gelitten haben.
[...] Dabei ist die Realität das unveränderliche Element, und
die unterschiedlichen Temperamente sind die schöpferischen Elemente,
die den Werken unterschiedliche Charaktere verliehen haben. In diesen
unterschiedlichen Charakteren, diesen immer neuen Aspekten liegt für
mich der ungeheuer menschliche Reiz von Kunstwerken. Ich wünschte,
die Gemälde aller Maler der Welt wären in einem riesengroßen
Saal versammelt, in dem wir das Epos der menschlichen Schöpfung Seite
für Seite lesen könnten. Und das Thema wäre stets die gleiche
Natur, die gleiche Realität, und die Variationen wären die besonderen,
originellen Weisen, mit denen die Künstler Gottes große Schöpfung
wiedergegeben haben. In diesen riesigen Saal sollte die Masse sich begeben,
um Kunstwerke vernünftig zu beurteilen. Hier ist das Schöne
nichts Absolutes, kein lächerliches allgemeingültiges Maß
mehr. Das menschliche Leben selbst wird das Schöne, das menschliche
Element, das sich mit dem unveränderlichen Element der Realität
vermischt und eine der Menschheit gehörende Schöpfung hervorbringt.
[...]
[...] Kein System, keine Theorie kann das Leben in seiner unablässigen
Produktion in sich schließen, und unsere Rolle als Richter von Kunstwerken
beschränkt sich darauf, die Sprachen der Temperamente zu beurkunden,
diese Sprachen zu untersuchen und zu sagen, was an ihnen neu und vital
ist. Wenn nötig übernehmen es die Philosophen, Formeln zu erarbeiten.
Ich will nur Tatsachen analysieren, und Kunstwerke sind bloße Tatsachen.
Ich lasse die Vergangenheit also beiseite, ich habe weder Regeln noch
ein Eichmaß in Händen und stelle mich vor Edouard Manets Bilder
wie vor neue Tatsachen, die ich erklären und kommentieren möchte.
Was mir zuerst an diesen Bildern auffällt, ist eine sehr subtile
Genauigkeit im Verhältnis der Farbtöne zueinander. Bei genauerem
Hinsehen verstehe ich, warum. Früchte liegen auf einem Tisch und
heben sich von einem grauen Hintergrund ab; je nachdem, ob die Früchte
dichter oder weniger dicht beieinander liegen, sind zwischen ihnen Farbwerte,
die eine ganze Skala von Schattierungen bilden. Wenn man von einem helleren
Farbton als dem wirklichen ausgeht, muß man einer immer heller werdenden
Skala folgen; und man muß umgekehrt verfahren, wenn man von einem
dunkleren Farbton ausgeht. Das nennt man, glaube ich, das Gesetz der Farbwerte.
In der modernen Schule kenne ich nur Corot, Courbet und Edouard Manet,
die sich beim Malen von Figuren konsequent an dieses Gesetz gehalten haben.
Die Werke gewinnen dadurch eine einzigartige Klarheit, eine große
Lebensnähe und einen besonderen Zauber.
[...]
[...] Edouard Manet ist ein Mann von Welt, und in seinen Gemälden
finden sich gewisse erlesene Linien, gewisse hübsche, zierliche Haltungen,
die seine Liebe zur Saloneleganz beweisen. Das ist das unbewußte
Element, die eigentliche Natur des Malers. Ich nutze die Gelegenheit,
um dagegen zu protestieren, daß es zwischen Edouard Manets Bildern
und den Versen von Charles Baudelaire eine Verwandtschaft gebe. Ich weiß,
daß den Maler und den Dichter eine herzliche Sympathie verbindet,
aber ich glaube behaupten zu können, daß Edouard Manet nie,
wie so viele andere, die Dummheit begangen hat, in seiner Malerei Ideen
umzusetzen. Meine kurze Analyse seiner Begabung beweist, mit welcher Naivität
er sich vor die Natur stellt. Wenn er mehrere Gegenstände oder mehrere
Figuren versammelt, so leitet ihn bei seiner Auswahl allein der Wunsch,
schöne Farbflecken, schöne Kontraste zu erreichen. Es ist lächerlich,
aus einem Künstler mit einem so gearteten Temperament einen mystischen
Träumer machen zu wollen.
[...] Zum Spott wurde gesagt, Edouard Manets Gemälde erinnerten an
Bilderbögen aus Epinal, und an diesem Spott, der ein Lob ist, ist
viel Wahres. Hier wie dort sind die Verfahren gleich, die Farben werden
in Flächen aufgetragen, allerdings mit dem Unterschied, daß
die Bildermacher in Epinal reine Farben verwenden, ohne sich um Tonwerte
zu kümmern, während Edouard Manet die Tonwerte vervielfacht
und sie in das richtige Verhältnis zueinander bringt. Weitaus interessanter
wäre es, diese vereinfachte Malerei mit den japanischen Drucken zu
vergleiche, die in ihrer fremdartigen Eleganz und mit ihren großartigen
Farbflächen ähnlich sind.
[...]
Ihm wurde vorgeworfen, er imitiere die spanischen Meister. Ich räume
ein, daß es zwischen seinen ersten Werken und denen jener Meister
einige Ähnlichkeit gibt: man ist immer jemandes Sohn. Aber seit seinem
Frühstück im Freien scheint er sich klar und deutlich
als jene Persönlichkeit zu bestätigen, die ich versucht habe
zu erklären und kurz zu kommentieren. [...]
II. Die Werke
[...]
Das Frühstück im Freien ist Edouard Manets größtes
Gemälde, dasjenige, in dem er den Traum aller Maler verwirklicht
hat: lebensgroße Figuren in einer Landschaft darzustellen. Wir wissen,
wie großartig er diese Schwierigkeit bewältigt hat. Wir sehen
Laub, einige Baumstämme und im Hintergrund einen Fluß, in dem
eine Frau im Unterhemd badet; im Vordergrund sitzen zwei junge Männer
einer zweiten Frau gegenüber, die gerade aus dem Wasser kommt und
ihre nackte Haut an der Luft trocknet. Diese nackte Frau hat das Publikum
schockiert, das nur sie auf dem Bild gesehen hat. Mein Gott, wie unanständig:
eine völlig unverschleierte Frau zwischen zwei bekleideten Männern!
So etwas hatte man noch nie gesehen! Diese Annahme war ein schwerer Irrtum,
denn im Louvre hängen mehr als fünfzig Bilder mit bekleideten
und nackten Figuren. Doch niemand geht in den Louvre, um sich schockieren
zu lassen. Und die Masse hat übrigens gar nicht daran gedacht, Das
Frühstück im Freien so zu betrachten, wie es sich für
ein wahres Kunstwerk gehört. Sie hat darin nur Menschen gesehen,
die nach dem Baden im Gras sitzen und essen, und sie hat geglaubt, der
Künstler habe etwas Anstößiges, Skandalöses in die
Behandlung des Sujets gelegt, während dieser lediglich scharfe Kontraste
und deutlich umrissene Farbflächen erreichen wollte. Die Maler, insbesondere
Edouard Manet, der ein analytischer Maler ist, nehmen das Sujet nicht
so wichtig, wie die Masse es vorwiegend tut; für sie ist das Sujet
ein Vorwand zum Malen, wohingegen für die Masse allein das Sujet
existiert. Daher ist die nackte Frau in Das Frühstück im
Freien gewiß nur da, um dem Künstler Gelegenheit zu geben,
ein wenig Fleisch zu malen. [...]
[...]
1865 wird Edouard Manet wieder zum Salon zugelassen. Er stellt Le Christ
aux outrages (Die Verspottung Christi) aus und sein Meisterwerk, die
Olympia. Ja, ich habe Meisterwerk gesagt und nehme das Wort nicht
zurück. Ich behaupte, daß dieses Gemälde wahrlich das
Fleisch und Blut des Malers ist und daß er nie wieder etwas Vergleichbares
erschaffen wird. In ihm kommt sein Temperament vollständig zum Ausdruck,
in ihm ist er ganz und gar vorhanden und nur er. Es wird das für
seine Begabung charakteristische Werk, das bedeutendste Zeugnis seiner
Fähigkeiten, das Maß seiner Schöpferkraft bleiben. Von
ihm habe ich Edouard Manets Persönlichkeit abgelesen, und als ich
weiter oben den Künstler selbst analysierte, hatte ich einzig und
allein dieses Bild, das alle anderen einschließt, vor Augen. Wir
haben es hier, wie die öffentlichen Spaßmacher sagen, mit einem
Bilderbogen aus Epinal zu tun. Auf weißen Leintüchern liegend,
bildet Olympia einen großen blassen Fleck vor dem schwarzen Hintergrund.
In diesem schwarzen Hintergrund versteckt sich der Kopf der Negerin, die
einen Blumenstrauß bringt, und jene schwarze Katze, die das Publikum
seinerzeit so erheitert hat. [...] Der Körper des Mädchens ist
bezaubernd blaß; es ist eine Sechzehnjährige, wahrscheinlich
ein Modell, das Edouard Manet einfach so, wie es war, abgemalt hat. Und
alles hat aufgeschrieen: man fand diesen nackten Körper unanständig,
und das mußte sein, denn der Maler hat ein Mädchen in seiner
jugendlichen und schon verblühten Nacktheit auf die Leinwand gebannt.
Uns werden nicht mehr die schönen üppigen Frauenkörper
dargeboten, die die Maler des 15. Jahrhunderts abmalten, und wenn unsere
Künstler eine Venus darstellen, korrigieren sie die Natur, lügen
sie. Edouard Manet hat sich gefragt, warum er lügen, warum er nicht
die Wahrheit sagen sollte; er hat uns mit Olympia bekannt gemacht, diesem
Mädchen unserer Zeit, das Ihnen auf den Bürgersteigen begegnet
und seine schmalen Schultern in einen dünnen Schal hüllt. Das
Publikum hat wie immer nicht daran gedacht zu verstehen, was der Maler
beabsichtigte, und einige Leute haben einen philosophischen Sinn in dem
Bild gesucht; andere, mit einer etwas schlüpfrigeren Phantasie, hätten
nichts dagegen gehabt, eine obszöne Absicht darin zu entdecken. Verehrter
Meister, sagen Sie jenen doch, daß Sie keineswegs das sind, was
jene denken, und daß ein Bild für Sie ein bloßer Vorwand
für eine Analyse ist. Sie benötigten eine nackte Frau, und Sie
haben Olympia, die erstbeste, gewählt; Sie benötigten helle,
leuchtende Flecken, und Sie haben einen Blumenstrauß eingefügt;
Sie benötigten schwarze Flecken, und Sie haben eine Negerin und eine
Katze in einer Ecke untergebracht. Was soll dies alles bedeuten? Sie wissen
es nicht so recht und ich auch nicht. [...]
[...]
III. Das Publikum
[...]
[...] Der Künstler ist seine Funktion als Schreckgespenst allmählich
leid. Trotz seiner Beherztheit spürt er seine Kräfte angesichts
der Wut des Publikums schwinden. Es wird Zeit, daß die Menge näher
herantritt und sich ihrer Furcht bewußt wird.
Im übrigen braucht er nur abzuwarten. Die Menge ist wie ein großes
Kind, das keinerlei eigene Überzeugung hat und Menschen mit Durchsetzungskraft
zuletzt immer akzeptiert. Die ewig gleiche Geschichte der verhöhnten
und dann fanatisch bewunderten Talente wird sich für Edouard Manet
wiederholen. [...]
[...]
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