Renaissance in der Spätgotik
Nicht selten ist zu beobachten, daß verschiedene,
ja konträre Stile zu individuellen Lösungen miteinander
kombiniert werden. So verhält es sich zum Beispiel beim Wladislawsaal
im alten Königspalast auf der Prager Burg, der als Bankett-
und Thronsaal in den Jahren von 1493 bis 1502 von dem Hofarchitekten
Benedikt Ried erbaut worden ist.
Der Außenbau erweist, daß der Baumeister
mit dem Formengut der italienischen Renaissance vertraut war: die
Fenster sind in ihrer neuzeitlichen Proportionierung und mit ihrer
Einfassung durch eine komplette Pilasterordnung mit antikisierenden
Pilastern und klassischem Gebälk ein mustergültiges Werk
der frühen Renaissance nördlich der Alpen.
Der Saal ist aber nicht mit einem Tonnengewölbe
oder einer Kassettendecke der Renaissance versehen, sondern mit
einer Spitzenleistung spätgotischer Wölbungskunst: einem
Schlingrippengewölbe, dessen phantastisch kurvierte Rippen
von gekehlten gotischen Wandvorlagen ausgehen. Die Ausprägung
einer bestimmten Stilstufe' war offensichtlich kein Anliegen
dieses Architekten.
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