Kunsttheorie

 

Im Mittelalter wurden die bildenden Künste zum Handwerk gezählt. Weder den neun Musen, noch den sieben freien Künsten (artes liberales), zu denen die musischen Tätigkeiten und Wissenschaften zusammengefasst wurden, wurden sie zugerechnet. Selbst unter den artes mechanicae, den handwerklichen Künsten, die von Hugo von St. Victor den artes liberales gegenübergestellt wurden, fungieren sie nicht als eigene Kategorie, sondern als Untergruppe der "armatura", der Berufsgruppe, die Bewaffung, Rüstung und Ausstattung herstellt.

Erst in der Renaissance beginnen die Künstler, eine Anerkennung ihrer intellektuellen Fähigkeiten einzuklagen. Vorreiter sind hier eindeutig die Maler. So betont der florentinische Maler Cennino Cennini Anfang des 15. Jh. in seinem "Libro d'arte":
"Die würdigste Beschäftigung ist und bleibt doch die Pflege der Wissenschaft. Von ihr geht aus und stammt eine andere Arbeit, die einerseits in der Wissenschaft ihr Fundament hat, andererseits aber auch in Handarbeit besteht, und das ist die Kunst, die man malen nennt"

Der Architekt und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti (1404-1472) wägt wenig später in seinem Buch "De pictura" (1435), erstmals Malerei und Bildhauerei gegeneinander ab:
"Sind doch sicher diese beiden Künste auf das Inngiste verwandt, und die Malerei sowohl wie die Sculptur schöpfen aus einer und derselben natürlichen Anlage ihr Dasein. Ich meinestheils stellte allerdings das Talent (ingegno) des Malers stets höher, da es sich in schwierigeren Dingen versucht..."

Derjenige, der sich erstmals ausführlich mit der theoretischen Grundlage der Künste, ihrer Stellung im Vergleich zu Musik und Poesie sowie ihrer Rangordnung beschäftigt, ist jedoch Leonardo da Vinci (1452-1519). Seine als "Paragone" bekannte Schrift ist eigentlich eine spätere Zusammenstellung seiner Notizen für den ersten Teil eines "Libro de Pittura". Er betont, dass die Malerei eine Wissenschaft sei, die auf Perspektive, einem Zweig der Optik, beruhe. Sie sei nicht nur der Bildhauerei, sondern auch der Poesie und der Musik überlegen. Er sagt, er könne sein Urteil begründen, welche der beiden Künste - Malerei oder Skulptur - größeres "ingegno", "difficultà" und "perfezione" verlangten:
Während z. B. die Skulptur auf Beleuchtung von außen angewiesen sei, trage die Malerei das Licht in sich. Der Maler könne durch Farbe und Perspektive überzeugen und damit Reflexionen und Stimmungen gestalten, was dem Bildhauer versagt sei. Dass der Bildhauer ein schwerer zu bearbeitendes und länger haltbares Ausgangsmaterial bearbeite, sei nicht seine eigene Leistung, sondern Leistung des Materials. Dafür müsse er harte körperliche Arbeit verrichten, während der Maler vor allem geistig arbeite.

In der Nachfolge Leonardos äußerten sich dann im 16. Jh. viele Künstler und Kunstkenner zu der Thematik, sei es der Schriftsteller und Humanist Baldassare Castiglione in seinem Buch vom Hofmann (Venedig, 1528), der venezianische Schriftsteller Lodovico Dolce in seinem "Dialog über die Malerei" (1557) oder der lombardische Kunsttheoretiker und Maler Giovan Paolo Lomazzo in seinem "Libro dei Sogni" (1564).

Besonders intensiv beschäftigte sich mit dem Thema jedoch Benedetto Varchi, ein Historiker, Dichter und Philologe am Hofe der Medici, der eine Umfrage iniziierte: Er erbat die Stellungnahme zeitgenössischer Maler und Bildhauer, unter ihnen Angelo Bronzino, Giorgio Vasari, Benvenuto Cellini und Michelangelo. Ihre Antworten stellte er 1547 in einem Vortrag in der Florentiner Literatur-Akademie vor, der zusammen mit den Briefen veröffentlicht wurde. Obwohl Varchi in seiner Stellungnahme auf Ausgleich bedacht war, scheint nun, etwa siebzig Jahre nach Leonardos Auseinandersetzung mit dem Thema, die Bildhauerei die stärkeren Argumente zu haben: Sie könne genauso variantenreich und naturgetreu abbilden und sei zudem nicht nur dauerhafter, sondern habe vor allem eine reale, materielle Existenz. Der Bildhauer könne das göttliche Konzept aus dem Stein herausschälen, die Skulptur spreche mehr Sinne an, sei vielansichtig, vollständig und öffentlichkeitswirksam.

Erst der Maler und Kunsttheoretiker Giorgio Vasari (1511- 1574) gibt in der 2. Auflage seiner Künstlerviten (1568) ein Statement ab, das einen Ausgleich im Paragone herbeizuführen trachtet: Im Zuge der theoretischen Fundierung der bildenden Künste beriefen sich nämlich beide Gattungen immer wieder auf die große Bedeutung des Konzeptes, der ursprünglichen Idee, für die künstlerische Arbeit. Dieses Konzept war für Maler und Bildhauer gleich bedeutend und äußerte sich meist in einer vorbereitenden Zeichnung. Das "disegno" wurde damit zum Synonym der künstlerischen Idee und zum einenden Credo der Künstler.
So schreibt Vasari:
"Die Zeichnung, der Vater unserer drei Künste, Architektur, Bildhauerei und Malerei, geht aus dem Intellekt hervor und schöpft aus vielen Dingen ein allgemeines Urteil (giudizio universale), gleich einer Form oder Idee aller Dinge der Natur[...] Und da aus dieser Erkenntnis eine bestimmte Vorstellung (concetto) entspringt und ein Urteil, das im Geiste die spätere, mit der Hand gestaltete und dann Zeichnung (disegno) genannte Sache formt, so darf man schließen, dass diese Zeichnung nichts anderes sei als eine anschauliche Gestaltung und Klarlegung der Vorstellung (concetto), die man im Sinne hat."

Mit diesem Statement Vasaris ist der Wettstreit zwar nicht entschieden, aber die Diskussion verliert an Schärfe und Intensität. Vasari fasste Architektur, Malerei und Skulptur als "arti del disegno" zusammen und gab der 1563 gegründeten Florentiner Kunstakademie den Namen "Accademia del Disegno". [KK]