Daumier - Pygmalion

Honoré Daumier (1808-1878)
Pygmalion, 1842,
Lithographie, 22,9 x 18,9 cm,
Bremen, Kunsthalle, Kupferstichkabinett
(Histoire ancienne Nr. 47, erschienen am 28. Dzemeber 1842 in Le Charivari)

"Oh Triumph der Kunst! Wie überrascht warst du,
großer Bildhauer, als du deinen Marmor lebendig werden sahst,
der sich mit einer sanften und verschämten Art langsam zu dir herunterbeugte,
um dich um eine Prise Tabak zu bitten"

Schon der diese Karikatur begleitende Text ironisiert die Legende vom antiken Bildhauer Pygmalion, der sich in eine von ihm geschaffene Frauenstatue verliebte und sich nichts sehnlicher wünschte als ihre Menschwerdung. Venus erfüllte seinen Wunsch und erweckte die Statue zum Leben.

In dem durch einige Skulpturenfragmente gekennzeichneten Atelier sehen wir rechts die gerade zum Leben erwachte Statue. Sie ist noch mit dem Sockel verwachsen, der erhöht auf einem Holzfass steht. Sie beugt sich zu Pygmalion herab und scheint ihm mit der Geste ihrer linken Hand um Entschuldigung zu bitten, während sie eine Prise Tabak aus seiner Dose entnimmt. Der Künstler, der gerade seinen Holzhammer abgelegt und zu seiner Schnupftabak-Dose gegriffen hat, ist sichtlich überrascht.
Im Gegensatz zu traditionellen Darstellungen des Themas ist die lebendig werdende Frauenstatue schon älter und wirkt in ihrer gesamten Erscheinung nicht sehr anmutig. Pygmalion selbst erscheint als Witzfigur, seine Nase ist lang und krumm, sein Haar zottelig, er sieht sehr mager aus und seine Kleidung wirkt ärmlich.
Indem er das Bild vom Künstler und seiner Statue trivialisiert, kritisiert Daumier die verherrlichende Ehrfurcht seiner Zeitgenossen vor der antiken Kunst. Der Bildhauer scheint sowohl vor dem weißen Marmor als auch vor der zu Leben erweckten Skulptur zu erschrecken, die sich ihm fordernd zuwendet. Sie verweist auf die Emanzipationsbestrebungen des 19. Jahrhunderts, denen Daumier sehr kritisch gegenüberstand.
[RHa]

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